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Wanderlust - Der Trip ihres Lebens
Werde Du Selbst!
In David Wains Komödie "Wanderlust" entkommen zwei gestresste New Yorker der koffeinbetriebenen Großstadtmühle und landen in einer "intentional community".
David Wain, das Mastermind hinter der Webserie "Wainy Days" und als Spielfilmregisseur zuletzt mit den äußerst lustigen "Role Models" (2008) aufgefallen, hat eine Komödie über zwei gestresste New Yorker gedreht, die es - Zeitangabe: "in this recession" - in eine Hippiekommune irgendwo im Bundesstaat Georgia verschlägt. "Wanderlust" heißt Wains neuer Film, die Wanderung von George (Paul Rudd) und Linda (Jennifer Aniston) ist aber vor allen Dingen eine metaphorische, aus der koffeinbetriebenen und nur mehr noch mit Schlaftabletten zu suspendierenden Großstadtmühle hinaus ins Offene, dem Versprechen alternativer Lebensentwürfe und einer gesteigerten Lebendigkeit hinterher. (Immer wieder wird sich Streit entzünden an dem feinen Unterschied zwischen dem wörtlichen und dem übertragenen Sinn dieser Wanderung: "Money buys you nothing", aber bestimmte Sachen eben doch; "I believe I can fly", aber noch der stärkste Glaube lässt keine Flügel wachsen.)
Bevor George und Linda sich dem Kommunenleben verschreiben,
erleben wir sie in ihrem natürlichen Habitat. In der Ausgestaltung dieser
Welt zwischen micro-loft und HBO-pitch - Linda promotet ihren Dokumentarfilm über Pinguine
mit menschenverschuldetem Hodenkrebs, nach eigenem Bekunden eine Mischung aus
"An Inconvenient Truth" und "March of the Penguins" - erzielt
"Wanderlust" die meisten Treffer. Auch der suburbane Flachbildfernseherkomfort
von Georges Bruder Rick (ein sprechender Name: rich
dick) ist die reine, zum Schreien komische Hölle.
Dass es das falsche Leben ist, dem George und Linda zu entfliehen suchen, daran
lässt der Film keinen Zweifel. Aber auch in der ländlichen Abschottung
der "intentional community", wie Oberguru Seth (Justin Theroux) die
Lebensform der Kommunarden betitelt, erweist sich das richtige Leben als flüchtiges
Gut. Immerhin existiert es dort als Utopie; die Komik resultiert nicht selten
aus der voreiligen Gleichsetzung von Begriff und Wirklichkeit.
In der letzten Spex (Mai/Juni 2012) weist Wibke Wetzer auf die Rehabilitierung der Figur
des Hippie in der amerikanischen Gegenwartskomödie hin, anhand von Titeln
wie "Our
Idiot Brother", "Portlandia"
oder "Enlightened". Aus europäischer Sicht mag dies zunächst
überraschen, haben wir doch gerade erst den letzten Anti-68er-Backlash
hinter uns gebracht. Was mit dem Hippie oder an ihm rehabilitiert wird, sind
jedoch nur jene Aspekte, die kompatibel sind mit dem postfordistischen Selbstverwirklichungsimperativ: Werde du selbst! Wie "Wanderlust" sich zu dieser Problemlage
stellt, ist nicht leicht zu bestimmen. Betrachtet man das nackte Narrativ, abzüglich
all der überschüssigen und ausschweifenden Momente, die den Film eigentlich
ausmachen, stellt er sich als kleinbürgerliche Variante der bürgerlichen
remarriage comedy dar, nur dass diesmal nicht zwei Liebende erneut einander wählen
müssen, sondern zwei Individuen jeweils sich selbst. Am Ende steht dann
folgerichtig nicht die Wiederverheiratung, sondern die Unternehmensgründung
- den spoiler alert habe ich mir an dieser Stelle gespart, weil man auf diese Abart des
happy ending inzwischen so oft stößt, dass einem gar nicht mehr auffällt,
wie falsch sie ist.
Gegen meine humorlose Ideologiekritik stellt David Wain seine sehr eigentümlichen
Humorexperimente. Ist das noch - oder schon wieder - lustig? Und wenn ja, bleibt
es lustig, wenn ich es zig mal wiederhole, zerdehne etc.? Diese und ähnliche
Fragestellungen werden hier abgearbeitet in einer modularen Form, die man um
noch einige solcher Versuchsanordnungen erweitern könnte, ohne dass die
nebenher und irgendwie gleichgültig
ablaufende Erzählung etwas davon mitkriegen
würde. Das ist nicht immer unterhaltsam, will es auch gar nicht sein. Faszinierend
ist es, wie schon Wains großes Humorforschungsprojekt "Wainy Days",
genau deswegen. Produziert wurde "Wanderlust" von niemand Geringerem
als Judd Apatow; so richtig gut zu vertragen scheint sich dessen, bei aller
Liebe zum formalen Exzess dennoch figurenzentrierte Auffassung der Filmkomödie
allerdings nicht mit dem unsteten Temperament des mad
scientist David Wain.
Nikolaus Perneczky
Dieser Text ist zuerst erschienen im:www.perlentaucher.de
Wanderlust - Der Trip ihres Lebens
USA 2011 - Originaltitel: Wanderlust - Regie: David Wain - Darsteller: Paul Rudd, Jennifer Aniston, Justin Theroux, Malin Akerman, Kathryn Hahn, Lauren Ambrose, Ken Marino, Alan Alda, Joe Lo Truglio, Kerri Kenney-Silver - FSK: ab 12 - Länge: 98 min. - Start: 21.6.2012
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