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Das
weiße Band
Nö,
nicht mit mir
Ursachenforschung
in Sachen Totalitarismus betreibt dem eigenen Bekunden nach Michael Haneke mit
seinem Palmen-Gewinner "Das weiße Band". Blöd nur, dass
er dabei selbst so totalitär vorgeht, wie man es bei ihm zu fürchten
gelernt hat.
Eine
Stimme aus dem Off ist im Kino immer eine Attraktion. Man traut ihr, weil sie
Distanz hält zum Bild. Man ist fasziniert, weil man nicht wissen kann,
von wo aus sie spricht, und wie sie sich verhält zu dem, was man sieht.
Die Stimme, die spricht, ohne dass man einen Sprechenden sieht, kann andererseits
aber auch leicht in Reibung geraten zu den Bildern, sie kann die Bilder kommentieren
oder erläutern, sie kann sie verdoppeln, sie kann ihnen eine andere Sicht
der Dinge entgegensetzen, sie kann Vexierspiele in Gang setzen, wie es bei Lars
von Trier wieder und wieder geschieht. Sie kann aber auch die Stimme eines allwissenden,
also literarisch-romanhaften Erzählers imitieren. Das ist es, was die Stimme
aus dem Off in Michael Hanekes jüngstem Film "Das weiße Band"
tut.
Haneke
sucht in seinen Filmen alles, nur eins nicht: den inneren Widerspruch. Er ist
deshalb der Anti-von-Trier. Wo der Däne ohne Scheu seine Filme zu faszinierenden
Gerümpelkammern wenig zusammenpassender Einfälle vollmüllt und
deshalb gerne die irritierendsten Off-Stimmen (seine eigene etwa) auf den Zuschauer/Zuhörer
loslässt, gehört bei Haneke alles immer an seinen Platz. Lars von
Trier spielt gern Gott, aber er bleibt dabei drin und draußen zugleich,
mischt sich ein, treibt Schabernack, ist als Gott noch ein Kobold. Haneke dagegen
ist als Regisseur unglaublich autoritär. Noch dass und wo etwas offen bleibt
in seinen Geschichten und Bildern, will er haargenau selbst bestimmen. Wenn
also zu Beginn eines Haneke-Films eine Stimme aus dem Off spricht, so hat sie
nur eine Funktion: Sie ist Nadel und Faden, mit denen der Film rundherum zugenäht
wird, auf dass nichts herausfällt aus ihm, auf dass alles , was der stets
einsinnigen Moral ihres Autors widersprechen könnte, gefälligst den
Rand hält.
Auch
Haneke liebt es, von gottgleichen Positionen aus seine Geschichten zu dirigieren,
aber er bevorzugt meist das Schweigen, er indoktriniert die Betrachter, indem
er Evidenzen produziert, die nach Möglichkeit keinen Ausweg mehr bieten,
keinen Widerspruch zulassen und in möglichst totalitärer Eindeutigkeit
sagen, was Haneke sagen will. Der Ich-Erzähler in "Das weiße
Band" spricht denn auch gleich zu Beginn in aller Offenheit aus, dass es
um Evidenzproduktion geht: ein "erhellendes Licht", sagt die Off-Stimme,
soll die folgende Geschichte werfen auf das, was in der Geschichte dann folgte.
Der Film ist ein Lehrstück, wie es noch jeder Film Hanekes war. Nur dass
er's verleugnet - ganz anders als etwa, man landet immer wieder bei ihm, Lars
von Triers "Dogville".
Es gehört zur Hanekeschen Evidenzproduktion, dass jener vorsätzliche
Spielraum fürs Denken, den Verfremdungseffekte gewähren können,
bei ihm bestenfalls zum Schein existiert.
Und
in "Das weiße Band" gar nicht. Das Bild, das man sieht, ist
vollendete Historienmalerei. Die Vergangenheit, die der Film entwirft, sitzt
wie angegossen. Ist auch schwarz-weiß, wie es bekanntlich die Vergangenheit
tatsächlich war, etwa in den Fotografien von August Sander. In der Typisierungsabsicht
jedenfalls kommt Haneke mit Sanders großem (und hoch problematischem)
Fotoprojekt überein: ein "Antlitz der Zeit" wollte Sanders schaffen,
indem er in sechzig Aufnahmen deutscher Menschen aus Individuen Repräsentanten
der eigenen Epoche vorführte. Um ein ähnliches Verhältnis von
Individuum und Typus geht es auch hier; nichts und niemand steht in "Das
weiße Band" einfach für sich. Anders als Sander will Haneke
aber nicht einfach das Bild einer Zeit schaffen. Mit der Stilisierung von Menschen
zu Typen ist es längst nicht getan. Hanekes Film versteht sich als ätiologische
Forschung, ganz im medizinisch-erzähllogischen Doppelsinn des Wortes. Alles,
was an Unrecht und Verbrechen und Gemeinheit und Zwang und Indoktrinierung zu
sehen ist, rückt sogleich an die Position der Ursache dessen, was daraus
noch folgen wird.
Unrecht,
Verbrechen, Gemeinheit und Zwang: damit ist die Erzählwelt des Films schon
recht genau umschrieben. Zweieinhalb Stunden lang werden Figuren als Typen -
fast alle ganz konsequent ohne Eigennamen - im Dorfpanorama vorgeführt.
Sie exekutieren, was Haneke in ganz bestimmt sehr vielen Büchern über
protestantische Erziehung und die wilhelminische Gesellschaft so gelesen hat.
Ins Zentrum rückt der Film, ohne ihn damit zur Hauptfigur zu machen, den
Lehrer (Christian Friedel) in jenem Dorf, dessen Funktionieren zweieinhalb Stunden
lang sozialpsychologisch zergliedert wird. Der Lehrer ist der einzige, der unschuldig
ist - oder schuldig wird höchstens aus zu großer Unschuld und Naivität.
Konsequenterweise wird ihm auch die Stimme des Ich-Erzählers zugeschrieben.
Hier ist einer, der zwar nichts ausrichten konnte, aber im Rückblick doch
cum grano salis die reine Wahrheit spricht: Er kam da raus, er kann berichten,
er hat seine Lektion gelernt, er liefert nun "erhellendes Licht".
Ein
Seil wird gespannt, unsichtbar fast, der Arzt reitet dagegen, stürzt und
wird schwer verletzt. Eine Bäuerin stirbt bei der Arbeit, das Leid der
Verwandten verwandelt sich in Hass auf den Gutsherrn, der den auch verdient.
Das schlimmste Scheusal freilich ist der Verwalter, von Sepp Bierbichler mit
Gusto gegeben. Und der abgefeimteste, weil seine eigene Bösartigkeit raffiniert
erzprotestantisch wegklügelnde Wicht ist der Pfarrer (Burghart Klaußner)
- an ihm wird die Logik jener Selbstzurechnung von Schuld vorgeführt, die
dann keine Instanzen der Gnade mehr kennt. Der Sohn fühlt sich nicht nur
schlecht, weil er vermeintlich Schlechtes getan hat. Schlechter noch fühlt
er sich, weil er den Vater dazu zwingt, ihn, den geliebten Sohn, zu strafen
für das, was er tat. Doppelt gemoppelt hilft besser für schlechtes
Gewissen. Das ist, versteht sich, empörend und richtet in den Seelen von
Kindern naturgemäß Schreckliches an. Wehe, wehe, wenn ich auf das
Ende sehe - "Eine deutsche Kindergeschichte" lautet, in Sütterlin
auf den Plakaten, des Films Untertitel.
Als
Speck, mit dem Haneke seine Mäuse fängt (dich also und mich), gibt
es von Anfang bis Ende die Andeutung eines Krimiplots. Der jedoch rundet sich
nie, die Täter werden nicht identifiziert (das ist das, was Haneke für
"Offenheit" hält). Die Episoden fügen sich dennoch zum in
sich geschlossenen Dorfpanorama-Verhängniszusammenhang, auch weil der Herr
Lehrer als späterer Ich-Erzähler aus dem Off ein hübsches weißes
Band als Umrandung ums Bild näht. Ausgesprochen attraktiv sind viele der
Einstellung und oft genug sagenhaft akkurat komponiert. Die Scheune brennt herrlich,
das verwüstete Kohlfeld: umwerfend schön. Große Kunstfertigkeit
steckt darin. Jedoch ist noch diese Schönheit, wie alles an "Das weiße
Band", letzten Endes das Ergebnis großer geistiger Schlichtheit.
Nicht nur ist die ätiologische These (das kommt von dem) arg simpel. Nicht
nur sind die Figuren zum Zweck des Exemplarischen entindividualisierte Stereotypen
(und werden wie alles Entindividualisierte für jeden Beweis genau dadurch
untauglich). Und nicht nur wirkt diese konzertierte Aktion von Zurichtungen
aller Art - in der Tat: "Das weiße Band" ist ein Zurichtungsfilm
- auf Dauer weniger empörend als schrecklich ermüdend.
Es
kommt eben hinzu, dass Michael Haneke von einer sich analytisch gebenden, in
Wahrheit schrecklich gravitätischen Humorlosigkeit ist. Und dass er, viel
schlimmer noch, keine Gnade kennt. Darin aber, in seinem Willen, komme was wolle,
zu exekutieren, was er erkannt hat, ist Haneke als Regisseur - immer schon -
der protestantischste aller Protestanten. Gnade ist, was seinen Filmen fehlt
und Gnade wäre das, was sie bräuchten, um etwas anderes als Schauprozesse
zu sein. Gnade in einem durchaus etwas abstrakteren Sinn. Als das Wissen darum,
dass der Mensch aus krummem Holz gemacht ist und nicht aus geradem, oder auch
vom Autor und Regisseur künstlich und exemplarisch gekrümmtem. Gnade
hieße: den Figuren ihre Leben als Eigenleben zu lassen, ihnen die Freiheit
zu gewähren, widersprüchlich zu sein, einen Unschärfebereich
um die ihnen zugemessenen Konturen herum zu entwickeln. Auch: ihnen zugestehen,
sich gegen das Diktat einer Moral, gegen die Lehre des Lehrstücks potenziell
selbst zu erlösen.
Und
Gnade walten zu lassen, hieße für den Autor und Regisseur auch: Den
protestantischen Strafkomplex nicht auch noch in der Logik des Films mimetisch
zu verdoppeln. Denn in Wahrheit tut dieser Film (und tut Haneke immer) haargenau
das, was er an seiner Pfarrer-Figur vorführt. Er rechnet auf ein doppelt
schlechtes Gewissen der Zuschauer. Wir sollen uns schlecht fühlen, weil
so Böses geschieht. Und wir sollen dem, der es uns gnadenlos vorführt,
für diese Züchtigung danken oder uns sogar schlecht fühlen, dass
der Michael Haneke uns, weil wir schlecht sind, immer so furchtbare Geschichten
erzählen muss. Was er natürlich nur tut, um uns zu bessern. Insofern
ist "Das weiße Band" nicht weniger als die Allegorie eines Haneke-Films.
Was ihn nicht besser macht.
Ich
jedenfalls kann auf diese Zumutungen und Zurichtungen nur reagieren, indem ich
mir die Freiheit, die Hanekes Filme keinem zutrauen, einfach nehme und sage:
Nö, nicht mit mir.
Ekkehard
Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Das
weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte
Deutschland / Österreich / Frankreich / Italien 2009 - Regie: Michael Haneke - Darsteller: Christian Friedel, Leonie Benesch, Ulrich Tukur, Ursina Lardi, Burghart Klaußner - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 144 min. - Start: 15.10.2009
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