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Welcome
Schwimmen
lernen
Der
Regisseur Philippe Lioret fand einen Weg, einen interessanten Film über
das ungute Nebeneinander von Einheimischen und Flüchtlingen in Calais zu
machen: "Welcome".
Manche
Etikette verwendet man geradezu mit einer gewissen Erleichterung. Zum Beispiel
"Flüchtlingsdrama" - vielleicht weil das per Definition aus einer
Geschichte das Drama von "Anderen" macht. Damit Flüchtlinge ja
Fremde bleiben und um solche Unterschiede zwischen "ihnen" und "uns"
aufrechtzuerhalten, hat zum Beispiel Frankreich Gesetze erlassen, die den Einheimischen
verbieten, den "Illegalen" zu helfen. Man darf sie nicht im Auto mitnehmen,
darf ihnen keinen Unterschlupf gewähren und sie erst recht nicht mit Nahrungsmitteln
oder Geld versorgen. Für den französischen Regisseur Philippe Lioret
waren diese Gesetze, die eine Mehrheit so automatisch befolgt, dass sie sie
gar nicht als Verbote wahrnehmen muss, eine der Motivationen, diesen Film zu
machen. Anders als die Mehrheit der Flüchtlingsdramen richtet "Welcome"
deswegen sein Augenmerk weniger auf die Torturen des Wegs als vielmehr auf das
ungute Nebeneinander von Fremden und Einheimischen in einer "Flüchtlingshochburg"
wie Calais.
Die
Geschichte beginnt mit Bilal (Firat Ayverdi), einem 17-jährigen Kurden
aus dem Irak, der nach Großbritannien will, weil er von einem besseren
Leben dort träumt, vor allem aber, weil seine große Liebe dorthin
ausgewandert ist. Bis Calais ist er schon gekommen, doch nun scheitert sein
Versuch, in einem von Schleppern vermittelten Lastwagen per Fähre den Kanal
zu überqueren. Aber Bilal will nicht aufgeben. Mit dem Stolz, dem Selbstbewusstsein
und der Naivität dessen, der liebt, schaut er am regnerisch-windigen Strand
von Calais gen Norden und fasst den Plan, zu schwimmen. Letzteres muss er allerdings
erst noch lernen. Im örtlichen Hallenbad trifft er den Schwimmtrainer Simon
(Vincent Lindon), den er mehr provoziert als darum bittet, ihm Unterricht zu
erteilen.
Das
Weitere mag vorhersehbar erscheinen. Natürlich nähern sich Simon und
Bilal einander an, natürlich erwärmt sich Simon für das Anliegen
des Jungen. Aber was die Spannung im Film erhält, sind die Motive, die
dabei eine Rolle spielen. Simon tut, was er tut, nicht aus Hilfsbereitschaft
oder Gutmenschentum, sondern aus engherzigeren Erwägungen heraus. Zuerst
will der Geschiedene seine Exfrau beeindrucken, der er noch immer nachtrauert.
Dann kommt der Trotz gegen das nachbarliche Denunziantentum und die staatliche
Kontrollwut. Und schließlich identifiziert er sich mit dem jungen Mann,
der für seine große Liebe kämpft, weil er selbst das Gefühl
hat, in der Liebe versagt zu haben. Erst ganz am Ende, als es eigentlich schon
zu spät ist, macht er sich auch die politisch-soziale Situation des jungen
Kurden klar. Vincent Lindon, der auf die Darstellung einer gewissen, leicht
verwahrlosten, Männlichkeit spezialisiert ist, gelingt es, fast wortlos
all diese Einblicke in seine Figur zu gewähren, ohne zu viel oder gar falsches
Mitgefühl auf sich zu ziehen. Der Film legt keinen Wert darauf, seine Beweggründe
als falsch zu entlarven, aber er führt mit bitterer Konsequenz vor, wie
schwierig es ist, einem "Anderen" tatsächlich zu helfen. Der
Wille, Gesetze zu missachten, reicht da keinesfalls aus.
Barabara
Schweizerhof
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Welcome
Frankreich 2009 - Regie: Philippe Lioret - Darsteller: Vincent Lindon, Firat Ayverdi, Audrey Dana, Derya Ayverdi, Thierry Godard, Selim Akgül, Firat Celik, Murat Subasi, Olivier Rabourdin, Yannick Renier, Mouafaq Rushdie, Behi Djanati Ataï - Länge: 115 min. - Start: 4.2.2010
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