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Weltmarktführer
Die
insolvente Geschichte
Klaus
Sterns Film "Weltmarktführer" dokumentiert den unaufhörlichen
Abstieg des "New Economy"-Wunderkindes Tan Siekmann
In
der Kunst gehen die meisten Geschichten gut aus, was häufig nur bedeutet,
dass sie überhaupt ausgehen. Der Schluss ist - gerade bei einer schrecklichen
Geschichte - ein Trost, weil er der Geschichte zumindest Vollendung gestattet
und sie damit erzählbar macht. In der Geschichte hat alles seinen Platz,
es gibt einen Anfang und ein Ende und was sich dazwischen bewegt, stiftet Sinn.
Das macht die Geschichte zu einer verführerischen Form der Weltwahrnehmung,
zu einer Schablone, die man über jede Wirklichkeit legen kann. Die Wirtschaft
scheint für solche Bemühungen empfänglich. Hier heißt der
Motor des Erzählens Wachstum und je nach dem, wie reibungslos er läuft,
führt der Weg von der Gründung eines Unternehmens in den Erfolg oder
den Bankrott.
Für
Tan Siekmann, dessen Geschichte Klaus Stern in dem Dokumentarfilm Weltmarktführer erzählt,
standen die Zeichen lange auf Erfolg. Mit dreißig, hatte Siekmann in der
Schule gesagt, wolle er Millionär sein. Kein unrealistisches Ziel für
einen, der aus einem begüterten Elternhaus in einer hessischen Kleinstadt
stammt und sich früh Geld verdient, indem er Computerprogramme für
große Unternehmen schreibt. Siekmann, der heute 37 ist, gründet 1983
sein eigene Firma, Biodata, die sich auf Verschlüsselungstechnik spezialisiert.
Im Börsenrausch der Jahrtausendwende wird Siekmann für kurze Zeit
zur Lichtfigur, weil seine Person wie Hessens Ministerpräsident Roland
Koch oder der ARD-Börsenexperte Frank Lehmann sagen, Innovation und Bodenständigkeit
zu verbinden scheint. Vielleicht aber auch nur, weil der Name seiner Firma so
klang, wie man sich die ökonomische Zukunft vorstellte: nach Genforschung
und Informatik.
In
der ersten Hälfte des Films lässt Stern die Zeit des Neuen Markts
Revue passieren. Er verdichtet all die öffentlichen Bilder, die es von
Siekmann gibt, ob auf BR 3, im amerikanischen Fernsehen oder als Gegenstand
von Witzen bei Harald Schmidt, zu einem Mosaik fortgeschrittenen Wahns. Aus
heutiger Sicht erscheint es rätselhaft, dass man die angeblichen Umsatzsteigerungen
von 200 Prozent eines schwitzigen großen Kindes Ernst genommen hat, Schmidts
Ironisierung des Aktienfiebers aber nicht. Die grellen Fernsehausschnitte von
der Hysterie unterliegen dem nachdenklichen Rhythmus und der sturen Repetition
der Filmmusik (Michael Kadelbach), die einfach, aber wirkungsvoll ein Leitmotiv
in Weltmarktführer bildet.
Eine kurze, sich wiederholende Sequenz aus einem Streicher, der in Moll sich
die Tonleiter abwärts bewegt, und einem Holzbläser, der nichts als
eine kleine Septe spielt. Das Intervall scheint dem so nah, wozu es doch nie
wird: zur Oktave, dem Moment, wo Anfang und Ende der Tonleiter sich treffen,
die Geschichte sich schließt.
Einen
Schluss gibt es nicht für Tan Siekmann, und davon handelt die zweite Hälfte
von Sterns Film. Die Dramaturgie der Geschichte kommt nach den Kapiteln "2000:
Höhenflug", "2001: Verunsicherung" und "Oktober 2001:
Absturz" aus dem Tritt. Siekmann muss unter dem Verdacht der kriminellen
Fälschung von Umsatzzahlen gehen, kauft - immer noch vermögend - seine
insolvente Firma aber bald zurück. Er will die Reputation wiederherstellen
oder anders gesagt: die Geschichte, die einmal der von Bill Gates ähnlich
sah, zu Ende bringen. Dass ihm das nicht gelingt, ist sein Dilemma. Quälend
ist die Sprache der Ökonomie, in der Siekmann seine Angestellten mit Optimismus
kräftigen will. Das "Malaysia-Projekt", das die Sorgen der Firma
mit einem Schlag beseitigen soll, ist als Wunderwaffe irgendwann derart strapaziert,
dass sich keiner mehr davon zu sprechen traut: "Damit wir uns um so mehr
freuen, wenn es dann kommt." Siekmanns Durchhalteparolen werden karikiert
durch das traurige Betriebsklima am "coolsten Arbeitsplatz in Frankenberg"
oder die gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Aktionären und ehemaligen
Mitarbeitern.
Zahlungsunfähigkeit
ist kein Ende, sondern die Verweigerung desselben. Sie verlängert die Geschichte
ins endlos Ungewisse. Weltmarktführer heißt
im Untertitel Die
Geschichte des Tan Siekmann,
aber so wie Stern sie erzählt, sperrt sie sich gegen ein Ende. Die Geschichte
bleibt, wenn man so will, in der erzählerischen Insolvenz gefangen, und
wenn man Siekmann so sieht, der gern ein deutscher Ikarus wäre, dann ist
das vielleicht das Schlimmste, was ihm passieren kann: dass es ein Ende nicht
gibt.
Matthias
Dell
Dieser
Text ist zuerst erschienen am 04.02.2005 in: der freitag
Weltmarktführer
- Die Geschichte des Tan Siekmann
Deutschland
2004 - Regie: Klaus Stern - Mitwirkende: Tan Siekmann – Start (D): 3.2.2005
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