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Weltstadt
Ein Film über das Leben hinter der Horrormeldung – Christian
Klandts Debüt „Weltstadt“ zeigt 24 Stunden Leben in einer ostdeutschen Kleinstadt. In
der Nacht geschieht Schreckliches.
In seinem Spielfilmdebüt „Weltstadt“ widmet sich Regisseur
Christian Klandt einem Tag im Leben der Bewohner seiner Heimatstadt Beeskow,
Brandenburg. In der Nacht des 16. Juni 2004 setzten dort zwei Jugendliche einen
im Park schlafenden Obdachlosen in Brand. Auch wenn der Vorspann auf die zu
Grunde liegende „wahre Begebenheit“ hinweist: „Weltstadt“ fiktionalisiert den
Stoff und vermittelt keine Rekonstruktion der Fakten. Im Film bleibt die Stadt
namenlos, und die Handlung wird in einen kahlen Winter verlegt. Trister Alltag
trifft auf Terror, und aus einem gewöhnlichen Abend entwickelt sich der
plötzliche Schrecken. Die Lebensgeschichten der Protagonisten sind die
Bestandsaufnahme einer von finanziellen und sozialen Nöten gezeichneten
Gesellschaft. Sie erzählen von Arbeitslosigkeit, Zukunftsangst, Einsamkeit
und Fluchtphantasien.
Da sind Karsten (Gerdy Zint) und Till (Florian Bartholomäi),
die im Vollrausch dem Ort zu zweifelhaftem, kurzlebigem
Ruhm verhelfen. Karsten, von Gerdy Zint mit geballter physischer Präsenz
gespielt, ist das Kraftzentrum des Films, ein Wüterich und Sadist, der
sich selbst und seine Umwelt mit Hass betrachtet. So kifft und säuft er
sich durch den Tag und beschimpft alles und jeden. Das Leben als ausweglose
Folge von Verletzung gerinnt bei Karsten zum Bild, und das wortwörtlich.
Eine blutige Narbe hat er sich in die Haut geschnitten, von Leberfleck zu Leberfleck,
und nennt es sein „Selbstbild“.
Till ist der Widerpart zu Karsten, er ist der Romantiker, den
es wegtreibt aus der Provinz. Nachdem er seinen Job als Azubi vom Malermeister
gekündigt bekommt, beginnt er, von Flucht und einer Existenz in Berlin
zu erzählen. Allein ihm fehlt der Mut, oder die Perspektive. Er träumt
von einem anderen Leben, doch das besteht nur aus einer negativen Projektion
der tristen Wirklichkeit. Mehr als durch die Beschreibung innerer Sehnsüchte
und Gefühle gewinnen beider Charaktere Profil in Abgrenzung zum verhassten
Alltag. Geformt durch ihre Umwelt, führen sie eine jener Freundschaften,
von denen die Provinz Tausende hervorbringt. Ständig am Streiten und Kräftemessen,
teilen sie vor allem das Elend eines Daseins ohne Hoffnung.
Während das Zusammenspiel von Bartholomäi und Zint stets
vor innerer Spannung zu bersten scheint, mangelt es der Erzählung in ihren
Nebensträngen an solch intensiver Reibung zwischen den Figuren. Gemeinsam
ist aber allen, am unteren Ende der sozialen Skala ihr Leben bestreiten zu müssen,
in Scheidung, Sonnenstudios und zerfallenden Plattenbauten. Ein jeder lebt in
Trennung, es gibt keine glücklichen Beziehungen.
Ausweglosigkeit, wohin Klandt und der ebenfalls aus Beeskow stammende
Kameramann René Gorski den Blick richten: Alt wie Jung schauen einer
düsteren Zukunft entgegen. Wenn die Dorfjugend am Park bei Housemusik säuft,
treffen sich die Älteren zum letzten Abend vor der gescheiterten Imbissbude
und reden vom heutigen Elend und der sozialistischen Vergangenheit. Die Generationen
leben im Unverständnis aneinander vorbei.
Forciert zeigen Klandt und Cutter Jörg Schreyer diese soziale
Zerrissenheit in Parallelmontagen, die Generationen einander gegenüber,
bis sich die Hoffnungslosigkeit der einen in die andere projiziert. So wird
„Weltstadt“ auch als Kommentar auf die Spätfolgen der Wiedervereinigung
lesbar. Die Älteren haben im Zuge der Wende den Schock existenzieller Unsicherheit
erfahren müssen und scheiterten. Die Jungen wachsen auf in dieser Atmosphäre
von Resignation und Verlorenheit, in ein Leben, das wenig Versprechen bereit
zu halten scheint. Die seltenen direkten Kontakte zwischen den beiden Generationen
sind Taten der Verachtung und Entfremdung: Nazis verschandeln die Imbissbude,
Karsten muss zu seinem großen Missfallen Sozialstunden im Obdachlosenheim
leisten. Dessen Bewohner wandern durch die Stadt als Fratzen des Scheiterns,
als kollektive Projektionsflächen, werden immer und überall beschimpft.
Wenn es dann zuletzt zu der Tat selbst kommt, bei der Karsten
und Till schwer angetrunken den vollkommen hilflosen Bettler (Jürgen A.
Verch) vollpinkeln, verprügeln und in Brand stecken, hat der Film schon
eine recht klare Aussage entwickelt. Die grausame Hinrichtung ist ein Exorzismus
der eigenen Albträume. „Niemals werden wir so wie die“, sagt Karsten über
die Obdachlosen im Heim und schaufelt doch zu Hause schon die gleichen Linsen
aus der Dose in sich hinein wie die verhassten Versager.
Nino Klingler
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: www.critic.de
Weltstadt
Deutschland
2008
104
Minuten
Regie:
Christian Klandt - Drehbuch: Christian Klandt - Produktion: Martin Lischke -
Kamera: René Gorski - Musik: Paul Rischer - Schnitt: Jörg Schreyer
Darsteller:
Gerdy Zint, Florian Bartholomäi, Karoline Schuch, Justus Carriere, Hendrik
Arnst
Kinostart:
05.11.2009
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