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Willkommen
bei den Sch’tis
Erfolgsfilm
als Wortspielhölle
Die französische Klischeebestätigungs-Komödie
"Willkommen bei den Sch’tis" ist ein Witz - und trotzdem stürmten
20 Millionen Franzosen in die Kinos.
Musst du in den Norden, dann pack die Wollmütze ein und vergiss vor allem die
Vorurteile nicht. Im Norden Frankreichs, bei den Sch’tis, sprechen sie Kauderwelsch
und haben von nichts eine Ahnung, das weiß der dorthin strafversetzte
Postbeamte Philippe Abrams (Kad Merad) ganz genau. Sch’tis, das ist der französische
Spitzname für ein Völkchen, das knapp vor der belgischen Grenze lebt;
dem real existierenden Dörfchen Bergues, in dem der Film spielt, wurde
jetzt ein Tourismusboom sondergleichen verschafft.
Philippe also in Sch’tis, und es kommt,
wie es kommen muss. Erst will er nicht hin, und am Ende ist er ganz weg, weil
er auf reizende Menschen, einen kirchturmglöcknernden Postboten mit Alkohol-
und Liebesproblemen und auf allerlei Komödienzutaten mehr trifft, die mit
dem realen Frankreich gar nichts, mit dem Publikumserfolg dieses Films aber
manches zu tun haben.
Na gut, Publikumserfolg ist die Untertreibung
des Jahres. Denn "Willkommen bei den Sch’tis" wäre im Grunde
komplett vernachlässigenswert, gäbe es da nicht die erstaunliche Zahl:
Mehr als 20 Millionen Besucher sahen die Komödie in Frankreich, mehr als
jemals irgendein anderer Film seit dem Beginn christlicher Zeitrechnung. "20
Millionen Franzosen können nicht irren", steht auf dem Werbeplakat,
was allerdings an den Spruch mit den Fliegen und der Scheiße erinnert.
Was ungerecht wäre, denn die Komödie ist eher so etwas wie ein mit
einzelnen Fruchtstückchen versetztes, nicht sehr aufregendes Kompott.
Man kann einerseits lange herumrätseln,
was die große Film-Haute-Cuisine-Nation Frankreich dazu treibt, sich auf
ein derart unraffiniertes Regionalküchenprodukt zu stürzen. Man kann
andererseits aber auch an die so viel brachialere deutsche Erfolgskomödienvariante
à la Bully Herbig denken, da wird man dann gleich freundlicher gesinnt.
Es lässt sich auch konstatieren, dass die Macher und Helden dieses Besucherrekordfilms,
Danny Boon (Regie, Koautor, Darsteller) und Kad Merad, Erfolgsfiguren mit algerischem
Migrationshintergrund sind. Beide sind als TV-Comedians zu Ruhm gekommenen,
und Boon, der eigentlich Daniel Hamidou heißt und in der Chti-Region Nord-Pas-de-Calais
aufwuchs, liebt seine Heimat heiß und innig und hat schon von einer ganz
in Chti gesprochenen Soloshow eine Rekordzahl an DVDs verkauft.
Nicht nur der Harmlosigkeit und der Erwartbarkeit
wegen ist "Willkommen bei den Sch’tis" von einem komödiantischen
Meisterwerk freilich weit entfernt. Dramaturgisch unrund, im Witzniveau uneben,
nimmt der Film viel zu langwierig Anlauf, hängt zwischendrin immer wieder
durch und ist überhaupt nur einmal so richtig komisch. Dann nämlich,
wenn Philippes Frau Julie (Zoé Félix), der er am Telefon immer
das Graue vom Himmel heruntergelogen hat, zu Besuch kommt und ihr Philippe und
all seine neuen Freunde mit viel Liebe ein Potemkinsches Dorf errichten, in
dem alle Vorurteile, die sich auftreiben lassen, eingeholt, überholt, erfüllt
und übererfüllt werden.
Weil der Film zu allen französischen
Realitäten nur den oberflächlichsten Anschein eines Bezugs hat, gibt
es auch für den wenig Landeskundigen kein Übertragungsproblem. Die
Vorurteile, um deren Überwindung es geht, hat man schnell kapiert, der
Rest ist lockeres Dahinsurfen auf wenig spezifischen Klischees, wie sie zwischen
unterschiedlichen ethnischen Gruppen und Landesteilen andernorts so oder so
ähnlich auch existieren. Als für die Verhältnisse dieses Gewerbes
erstaunlich anstellig erweist sich dabei die deutsche Synchronisation. Aus dem
Chti wurde in der Übersetzung kein peinlicher dialektaler Einlauf, sondern
eine nur ein bisschen tumbe buchstabenverdrehungskunstsprachliche Wortspielhölle,
in der es sich mit Christoph Maria Herbst, der Danny Boon synchronisiert, gelegentlich
ganz kommod amüsieren lässt. Was nichts daran ändert, dass "Willkommen
bei den Sch’tis" nicht mehr und nicht weniger ist als ein etwas lang geratener
gespielter Witz, zu dem die Kirchturmglocke ihr "palim, palim" klimpert.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Willkommen
bei den Sch'tis
Frankreich
2008 - Originaltitel: Bienvenue chez les Ch'tis - Regie: Dany Boon - Darsteller:
Kad Merad, Dany Boon, Zoé Félix, Anne Marivin, Philippe Duquesne,
Guy Lecluyse, Patrick Bosso, Zinedine Soualem - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Länge: 106 min. - Start: 30.10.2008
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