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Wo
die wilden Kerle wohnen
Lummerland
voll Wüstensand
Spike
Jonze lässt Max, den Helden aus Maurice Sendaks Kinderbuchklassiker "Wo
die wilden Kerle wohnen", im Land seiner Fantasie auf eine zottelige Depri-Truppe
stoßen.
Der
Wurm ist drin. Und zwar in der deutschen Rezeption von Maurice Sendaks Kinderbuch-Klassiker
"Where the Wild Things Are". Schon der deutsche Titel "Wo die
wilden Kerle wohnen" des Buchs, das in Deutschland nie die Popularität
erreicht hat, die es in den USA genießt, hat seine Probleme. Der Begriff
"Kerle" engt die Wesen, denen Max begegnet, schon zu sehr ein. Und
nun, da Spike Jonze gemeinsam mit seinem Drehbuchkoautor Dave Eggers und im
ständigen Kontakt mit Maurice Sendak das Buch verfilmt hat, stimmt er schon
gar nicht mehr: Nicht nur sind die Kerle ihrer mentalen Statur nach keine Kerle,
es sind ganz ausdrücklich nunmehr auch Mädels darunter. Viel schlimmer
aber als alle Übersetzungsprobleme - und fatal für die Aufnahme des
Films hierzulande - ist die vom deutschen Verleih gewählte Strategie, das
Werk als reinen Kinderfilm zu vermarkten. Das nämlich wird dem Werk alles
andere als gerecht. In den USA, wo der Film seine Produktionskosten bereits
wieder eingespielt hat, setzte man denn auch - und mit Erfolg - auf die Adressierung
des Gesamtpublikums.
Die
Geschichte des Buchs ist einfach. Ja, ihre Einfachheit und der sehr spärliche
Text haben dafür gesorgt, dass 46 Jahre ins Land zogen, ohne dass eine
Spielfilmversion des Klassikers zustande gekommen wäre. (Es gibt einen
Animationsfilm von 1973, den kann man sich auf Youtube ansehen.) Spike Jonze,
berühmt geworden mit Videoclips und "Being John Malkovich", und
Dave Eggers, Hipster, Gutmensch und Gründer von McSweeney's, haben
es nunmehr gewagt. Und bekamen prompt Ärger mit dem Studio Warner Brothers,
das bei Ansicht erster Ergebnisse Angst vor der eigenen Courage bekam und Änderungen
verlangte. Aufhellungen der Gemütslage vor allem. Da geriet das Studio
an die Falschen. Es gab viel Streit, die Produktion - 2005 schon begonnen -
zog sich, ein kompletter Neudreh wurde erwogen, dunkle Gerüchte umwölkten
den Film bald im Netz.
Die
schließlich geschlossenen Kompromisse sind im fertigen Film als solche
kaum erkennbar. Der Rahmen des Kinderbuchs bleibt in groben Zügen erhalten.
Max (Max Records) ist der Held der Geschichte, ein Junge, der sich aus Unglück
wegträumt aus seiner Wirklichkeit. Der Film beginnt mit der Zerstörung
eines Iglus, das Max sich als Rückzugsort gebaut hat. Dann kommt es zum
Streit mit seiner (alleinerziehenden) Mutter (Catherine Keener), Max verlässt
in einem Wolfskostüm, in das er sich wie in einen allerdings wirkungslosen
Schutzanzug gekleidet hat, das Haus, rennt davon und ist plötzlich auf
einem Boot auf offener See. Im Buch war es noch das Kinderzimmer, das sich wundersam
transformierte; im Film korrespondiert der realeren Distanz paradox die Unmöglichkeit,
sich selbst und seiner schwierigen Situation zu entkommen. Max landet an fremden
Gestaden im Dunkeln. Ein Feuer brennt, man sieht im Umriss riesenhafte Gestalten,
von denen einer gerade ausrastet und die Behausungen seiner Stammesgenossen
(oder wie immer man diesen Wilde-Dinger-Verbund auch nennen will) zerstört.
Das ist Carol. Zwischen Max und ihm entwickelt sich eine komplizierte Beziehung,
die Freundschaft zu nennen nicht ganz korrekt wäre.
Max
träumt sich also davon und stößt auf eine Truppe von Großen,
die gefährlich nur im ersten Moment scheinen. Und auch groß, im Sinn
jedenfalls von erwachsen, sind sie eigentlich nicht. Bei Sendak wird Max zum
König der "wild things" gewählt, weil der die ihn turmhoch
fast Überragenden niederstarrt, in der Fantasie zur Furchtlosigkeit selbstermächtigt.
Hier ist es eher so, dass die wilden Kerlinnen und Kerle nur zu froh ist, einen
Dummen gefunden zu haben, dem man die Krone aufsetzen kann. Sie selbst nämlich
sind endlos verzagt, eine durch Streitereien zermürbte Therapiegruppe,
die sich über einen Neuzugang freut. Man lernt sich kennen, man freundet
sich an, man macht einmal auch ein großes Spektakel, bei dem alle auf
einen Haufen springen, man entwickelt Pläne für ein großes Fort-Bauprojekt.
Und doch schwindet die Melancholie, die die Züge, die Bewegungen, die Dialoge,
überhaupt das Zusammenleben durchwirkt, nicht.
Eskapismus
ist was anderes. Das hat das Studio gemerkt, mit Entsetzen. "Where the
Wild Things Are", von Jonze und Eggers erzählt, ist eine Geschichte,
deren Schrecken sich keineswegs der Monstrosität fremder Gestalten verdankt.
Alles ist vielmehr nur zu vertraut. Das Unglück, die Trauer, das Zagen
hat Max aus seinem Innern nur ins Außen projiziert. Diese Projektion setzt
Jonze ins Bild. Nichts Rettendes, nichts Erlösendes, auch und gerade nichts
Erhabenes ist in Sicht. Im Gegenteil. Das große Projekt scheitert, die
Krone fällt dem König vom Kopf, die Depri-Truppe schlurft weiter durch
ihr Lummerland voll Wüstensand und die vom Himmel geholten Eulen sind,
was sie scheinen: sprachlos und dumm. Mit der Handkamera, in dokumentarisch
anmutenden, das Dunkle und die Unruhe suchenden Bildern setzt Spike Jonze das
um. Nichts wird in übersichtliche, klassische Kompositionen gebannt. Viel
anders als Jonzes Skatervideos sieht das alles nicht aus und nur in diesem allen
Hollywoodkonventionen und avataristischen Spektakeln fernen Sinn ist es ganz
und gar zeitgemäß. Am Ende wird zum Abschied mit den Wölfen
geheult. Max projiziert sich zurück zur Mama. Sie haben sich wieder, sie
sehen sich in die Augen und wenig hat sich geändert, diesem Moment des
glücklichen Wiederfindens und kernfamilialen Zusammenseins zum Trotz. Die
atemberaubend realistische Botschaft des Films: Man entkommt sich nicht. In
der schönsten Fantasie lauert nur der nächstbeste Trauerkloß.
Hollywood hat schon besser geträumt.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Wo
die wilden Kerle wohnen
USA
2008 - Originaltitel: Where the Wild Things Are - Regie: Spike Jonze - Darsteller:
Max Records, Catherine Keener, Mark Ruffalo, Steve Mouzakis, Pepita Emmerichs,
Max Pfeifer - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 101
min. - Start: 17.12.2009
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