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Women Without Men
Körperlos schwebend
Die Videokünstlerin Shirin Neshat hat mit "Woment
Without Men" ihren ersten Spielfilm gedreht: Die Bilder, die sie
und ihr Kameramann finden, sind allerdings entschieden zu schön.
Shahrnush Parsipurs Roman "Women
Without Men" beschäftigt die iranische Videokünstlerin
Shirin Neshat schon eine ganze Weile. Zunächst hat sie Szenen
des Buchs als kinematografisch hochgerüstete Videos gedreht und installativ ausgestellt. Sie schloss darin an frühere Foto- und Videoarbeiten
an, die sich stets durch eine gewisse Simplizität des Gedankens in Tateinheit
mit aufgeplusterter Symbolik und angestrengten Stilisierungsversuchen auszeichneten.
In der Regel geht es dabei um Geschlechterverhältnisse unterm Vorzeichen
des Islam. In "Rapture", in dem eine Schar schwarz gekleideter Frauen
einer Schar weiß gekleideter Männer gegenübergestellt wird,
läuft es auf ein Bild hinaus, das die Frauen in einem Boot auf dem Meer
zeigt: ein Bild, das so dumm ist wie schön. Und nicht zuletzt deshalb dumm,
weil es bei unspezifischer Symbolik vor allem schön sein will.
Das ist das Grundproblem bei Neshat. Sie
versteht sich offenkundig vor allem als Bildfinderin. So fliegt im Spielfilm
"Women Without Men", gleich zu Beginn und später ein weiteres
Mal, das schwarze Haar einer Protagonistin vor hellem Hintergrund pittoresk,
bevor sie sich gleich darauf in den Tod stürzt. Eine andere geht in einem
Teich ins Wasser und Neshat filmt das von oben, so dass die bewegt schwebenden Haare
im Zusammenhang mit dem Rand des Pools ein hoch dekoratives Gesamtbild aus entgrenztem Körper und begrenzendem Rahmen bei dazu weiß schwebendem
Kleid ergeben. Das ist hübsch, das kann man sich an die Wand hängen.
Nur: Es ist ein falsches Bild für eine Frau, die, und sei es noch so symbolisch,
den Tod sucht.
Gewiss, auch Parsipurs Roman
verlässt das Register des Realistischen wiederholt und gezielt. Eine der
fünf Protagonistinnen wird zum Baum, der seine Samen zuletzt in den Wind
streut. Eine andere gebiert eine Lilie, die wird in den Garten gepflanzt. Beides
taucht im Film übrigens nicht auf: eine symptomatische Verschiebung. Das
Magische der Vorlage wird gedämpft (nicht ganz eliminiert), wie aber umgekehrt
auch das Harsche, das Parsipur sehr unvermittelt und in sehr kurzen Sätzen gegen
ihre Metamorphosen setzt. Neshats Film ist eine Transposition in eine sanftere Tonart:
weniger magisch, weniger sarkastisch. Dafür umgrenzter, dekorativer, auch
als Historienfilm reichlich konventionell.
Es ist das Jahr 1953, die Wochen des vom Westen gesteuerten
Putschs gegen den demokratisch gewählten iranischen Präsidenten Mohammad
Mossadegh. Vier Frauen versammelt Neshat in ihrem
filmischen Raum: eine Prostituierte, die sich blutig kratzt beim Versuch einer
Reinwaschung im Hamam; die Frau eines auf der Seite des Shah stehenden Generals;
eine Frau um die dreißig, die die Heirat verweigert; die Frau, die vom
Haus springt (im Roman tötet sie ihr eigener Mann), begraben wird, wiederaufersteht
und daraufhin politisch aktiv ist. Madokht, die Frau, die zum
Baum wird, fehlt. Dafür gibt es den Garten als Rückzugsraum, von Neshat und ihrem Kameramann Martin Gschlacht allerdings ein
gutes Stück Richtung nebelwabernde Naturmystik gerückt. Dagegen montiert
immer wieder Bilder von Protesten auf Teherans Straßen - Bilder allerdings,
an denen Neshat gelungene Symmetrien und eine einsam schwarz verhüllte
Frau zwischen Männern in weißen Händen mehr zu interessieren
scheinen als der historische Kontext. Die These des Films lautet, sieht man
aufs Ende: Der Rückzugsraum wird von der Wirklichkeit eingeholt werden.
Damit blendet Neshat dann aber auch ab.
Parsipur war da radikaler und nüchterner zugleich. Sie erzählt
in kurzen Sätzen, wie es mit ihren Figuren nach dem Ende des Gartenaufenthalts
weitergeht. Eine heiratet und es heißt über sie: "Ihre Beziehung
war zufriedenstellend, weder warm noch kalt." Eine andere wird - im Film
verweigert sie das - zur Zweitfrau des Mannes, der ihr keine Unabhängigkeit
zugestehen will. Parsipur: "Ihr gemeinsames Leben ist weder gut noch schlecht.
Es geht einfach weiter." Neshat legt, übrigens
sehr dabei unterstützt von der stets gefälligen Musik von Ryuichi Sakamato, ästhetische Schleier über Wirklichkeiten,
von denen Parsipur mit ihrer letztlich sehr realistischen Nüchternheit
diese absichtsvoll rabiat wegzieht.
Der Österreicher Martin Gschlacht ist
gerade dabei, einer der gefragtesten Kameramänner des gehobenen europäischen
Arthouse-Kinos zu werden. Das versteht man, wenn man sieht, wie
er etwa in Götz Spielmanns "Revanche" oder Jessica Hausners "Lourdes"
geradezu schwerelose Eleganz mit Präzision in jeder Bewegung zu verbinden
versteht und so, was auf den ersten Blick eindeutig scheint, in ambivalentes,
aber nicht beliebiges Bedeuten auflöst. Spielmann wie Hausner nutzen Gschlachts Bildkunst für dramatische Ironien und spielen so mit
der Uneindeutigkeit sowohl des Sinns einzelner Bilder wie auch ihrer eigenen
AutorInnenposition. In "Women Without Men" jedoch
kippt das Schwerelose der Bewegung (und die Kamera ist hier meist in sanfter
Aktion) in eine schwebende Körperlosigkeit und wird zum Problem. Wiederum
eine Verselbständigung - denn unter Neshats Schönheitsdiktat
verlieren Gschlachts tendenziell oft etwas gefällige Bilder den Widerstand,
den sie brauchen. Manchmal übernimmt die Kamera noch eher konventionell
die Perspektive einzelner Figuren, putzt aber auch diese dann regelmäßig
viel zu zeitlupenhaft steadycamartig heraus. Ein Blick ist nicht einfach ein Blick, sondern
wird etwas geheimnisvoll visuell Schwebendes.
Nicht selten löst sich die Kamerabewegung auch ganz
von den Figuren. Der an nichts mehr gebundene Blick gleitet widerstandslos durch
die Räume, in der Vertikalen wie in der Horizontalen. Es ist diese Steadycam-Ästhetik, die Neshat sichtlich entgegenkommt.
Filmsprachlich ist die Steadycam-Fahrt eine paradoxe Form: Sie ist an den Körper
des Kameraträgers gebunden, zugleich aber durch Stabilisatoren von der
Körperlichkeit seiner Bewegung gelöst. Weder rein apparatisch
(wie die Filmkamera in der Regel) noch eine Handkamera, die die Bewegung des
Kameramanns, sei es im Ruck, sei es zitternd, direkt aufgreift. Die Steadycam erzeugt so tendenziell Unheimlichkeitseffekte: eine Form der Souveränität
des sich bewegenden Blicks, die keiner Anstrengung, keiner Haltung und keiner
Rückbindung an den Körper gedankt scheint. Das kann etwas Furchterregendes
haben, aber wenn es zur bloßen, von allen Bezügen gelösten Produktion
eines jede Spontaneität meidenden Eleganz-Gleichmaßes wird, dann
fügt sich auch die Ästhetik der Steadycam ins Kitsch-Repertoire,
aus dem sich Shirin Neshat in "Women Without Men" vorzugsweise,
wenn auch nicht ganz so ungehemmt wie in ihren Videos, bedient.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Women without
Men
Deutschland / Österreich / Frankreich 2009 - Originaltitel:
Zanan-e bedun-e mardan - Regie: Shirin Neshat, Shoja Azari - Darsteller: Pegah Ferydoni, Arita Shahrzad, Shabnam Tolouei, Orsi Tóth - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
99 min. - Start: 1.7.2010
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