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Worst Case Scenario
Man muss zuerst über den Film sprechen, den Regisseur Franz Müller
nicht gemacht hat. Ursprünglich wollten Müller und seine Autoren Jan
Stahlberg und Peer Klehmet eine Fußballkomödie im Stil von „Ricky
Bobby - König der Rennfahrer“ drehen – eine, wie es im Englischen heißt,
„broad comedy“ also. Leider hat der deutsche Film ein ernsthaftes Humorproblem.
Die Sophistikation eines höheren Unsinns und der kultivierte Vulgarismus
genießen im deutschen Kino keine besonders gute Reputation. Das liegt
weniger am Komödien-Sujet, das etwa im US-Kino nicht zuletzt dank eines
unerschöpflichen Nachschubs von erstklassigen Komikern und Autoren aus
populären Fernseh-Formaten (Saturday Night Live, Comedy Central, die „Judd
Apatow-Schule“) über eine Tradition verfügt, sondern eher am beschränkten
deutschen Humorverständnis, das an Grenzen stößt, wo ein Will
Ferrell oder ein Adam Sandler (in seinen lichtesten Momenten) gerade erst warm
werden. Eine Komödie über die prollige Verwandtschaft des deutschen
Nationaltorwarts Manuel Neuer, die während der Fußball—EM 2012 auf
einem Campingplatz in Polen einfällt, um billige Eintrittskarten für
das Finale zu ergattern, klingt jedenfalls bescheuert genug, dass sie dem deutschen
Humorbetrieb gut zu Gesicht gestanden hätte.
Der Film kam trotz Zusage von Fördergeldern nicht zustande, womit
vielleicht schon alles über den gegenwärtigen Stand der deutschen
Komödie gesagt ist. In „Worst Case Scenario“, den Müller stattdessen
gedreht hat (mit namhafter Besetzung, polnischen Laiendarstellern und nicht
mehr als einem Drehbuchentwurf), kommt dann auch eine Repräsentantin des
bürokratischen TV/Kino-Unterhaltungskomplexes zu Wort, die deutlich zu
verstehen gibt, wo es bei der deutschen Komödie im Argen liegt: „Man muss
spüren, dass der Faschismus aus dieser Chipstüte jederzeit herauskriechen
kann“, brüllt sie den Regisseur Georg am Drehort an – und dreht kurzerhand
den Geldhahn zu. Die deutsche Komödie ist gestorben, bevor sie richtig
begonnen hat. Ein Bild mit Symbolwert.
Müller hat das titelgebende worst
case scenario nun seinerseits zu einer
Komödie umfunktioniert und einen Film über einen Film gedreht, der
an seinen äußeren Umständen scheitert. Das größte
Hindernis ist – neben dem offensichtlichen Geldmangel – der Regisseur selbst.
Georg, gespielt von Samuel Finzi, steckt in einer Schaffenskrise, aus der er
sich mit Hilfe seines havarierten Filmprojekts zu retten versucht. Ausstatterin
des Films ist seine Ex-Freundin Olga (Eva Löbau), die ihm zu Beginn der
Dreharbeiten erklärt, dass sie von ihm schwanger sei. Und Hauptdarstellerin
Meike (Laura Tonke) erweist sich als Nervenbündel, die mit ihren Neurosen
das Drehteam in den Wahnsinn treibt. Die Besetzung vervollständigen deutsche
Fußballfans, die kurzerhand auf dem Campingplatz angeheuert werden, und
professionelle Darsteller einer polnischen Provinztheaterbühne, die aber
leider weder Deutsch noch Englisch sprechen. So entwickelt sich „Worst Case
Scenario“ – etwas anders, als mit der Bemerkung über die Chipstüte
intendiert – zu einer Farce über die deutsch-polnische Verständigung.
Das Chaos ist vorprogrammiert: Darsteller steigen aus, die Komparsen
sind unfähig, der Tontechniker verabschiedet sich mitsamt des Campingwagens
und selbst die geduldigen Polen zeigen dem Regisseur irgendwann einen Vogel.
Während der Film-im-Film also mehr und mehr auseinanderfällt und die
kommerzielle Komödie produktionsmittelbedingt sukzessive zu einem Dogma-Film
und beinah sogar noch zu einem Stummfilm heruntergewirtschaftet wird, entpuppt
sich „Worst Case Scenario“ allmählich als skurrile Beziehungskomödie
– und bis auf einen ziemlichen guten Synchro-Witz, der den verzweifelten Drehbucheinfall
eines (wieder produktionsmittelbedingten) „Gender-Bending“ in eine schöne
Volte über die Nicklichkeiten in einer Paarbeziehung verdreht, auch ganz
ohne selbstreferentielle Mätzchen.
Olga bändelt in den (zahlreichen) Drehpausen mit einem jungen polnischen Produktionsassistenten an und durchläuft in einem urkomischen Schnelldurchgang – vom Eltern-Kennenlernen bis zum Hochzeitskleid – die Initiationsrituale einer „ernsthaften“ Beziehung, womit der Film ganz nebenbei auch deutsch-polnischen Vorurteilen den Wind aus den Segeln nimmt. Georg wiederum findet sich nach einigen regressiven Wutanfällen mit seiner neuen Vaterrolle ab. Das klingt, gemessen an dem Film, den Müller eigentlich drehen wollte, vergleichsweise bescheiden. Aber vielleicht muss man sich einfach damit abfinden, dass Unfälle wie „Worst Case Scenario“ derzeit die seltenen Lichtblicke in der deutschen Komödie sind.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Worst Case Scenario
Deutschland 2014 - 82 Minuten - Start(D): 02.07.2015 - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Regie: Franz Müller - Drehbuch: Franz Müller - Produktion: Katharina
Jakobs, Franz Müller, Moritz Müller, Markéta Polednová
- Kamera: Kawe Vakil - Schnitt: Andreas Menn - Darsteller: Mirek Balonis, Justyna
Bartoszewicz, Janek Bielawski, Florian Mischa Böder, Jakub Ehrlich, Samuel
Finzi, Malgorzata Hrynaszkiewicz, Mariola Kurnicka, Eva Löbau, Vivian Mahler,
Fabian Miebach, Jutta Riedel, Maciej Sykala, Laura Tonke, Elena Wegner - Verleih:
Kawe Vakil
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