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The
Wrestler
Bang
your Head!
In Joel und Ethan Coens „Barton
Fink“ (1991) muss ein
in Hollywood gestrandeter Bühnenautor mit Schreibblockade einen Catcher-Film
schreiben. Diese Idee geht zwar auf eine reale Begebenheit zurück, nämlich
die Mitarbeit William Faulkners an dem Wallace-Beery-Vehikel „Flesh“ (1932),
aber schon aufgrund des heute unbekannten Genres wirkt das Ganze reichlich absurd.
Die offizielle Filmgeschichte kennt – im Gegensatz zum Boxerfilm – nur wenige
Beispiele für Wrestler- oder Catcherfilme. Bestenfalls in Mexiko gibt es
eine Tradition von „Santo“- und „Blue Demon“-Filmen, die film
buffs mit einer Neigung
zu obskuren Genres bekannt sein könnten. Ansonsten wäre da allenfalls
noch Robert Aldrichs Frauencatcher-Film „…All the Marbles“ (1981), der in Deutschland
unter dem Titel „Kesse Bienen auf der Matte“ verramscht wurde. Aber auch der
war eigentlich eher eine bittere Anklage an das Reagan-Amerika im Gewand des
Sportlerfilms.
Nun hat Darren Aronofsky, der sich mit
„Pi“ (1998), „Requiem
for a Dream“ (2000) und
zuletzt „The
Fountain“ (2006) als einer
der innovativsten jungen US-Regisseure einen festen Platz in den Feuilletons
eroberte, sich angeschickt, den ersten richtigen Catcher-Film zu drehen. Das
heißt: einen Film, der analog zu Boxerfilmen wie „The Set-Up“ (1949),
„Rocky“ (1976) und „Wie
ein wilder Stier“ (1980)
die Protagonisten im Ring ins Zentrum rückt. Dazu erzählt „The Wrestler“
von einem alternden Show-Catcher, dessen beste Tage lange zurückliegen
und der sich nach einem Herzinfarkt noch einmal aufrafft, seine Karriere zu
reanimieren, ganz einfach, weil Prügel austeilen und einstecken das einzige
ist, was er kann.
Eine lange Kamerafahrt entlang einer Wand
voller Zeitungsartikel und Wrestling-Werbeplakate. Aus dem Off ist eine aufgeputschte
Menge zu hören, ein Stadionansager kündigt Randy „The Ram“ Robinson
(Mickey Rourke) an. Es sind die 80er, aus dem Off dröhnt von Quiet Riot
„Metal Health (Bang Your Head)“: „Well I'm frustrated / Outdated / (…) I'm
not a loser and I / ain't no weeper / (…) / Bang your head / Wake the dead /
We're all metal mad / It's all you have / So bang your head / And raise the
dead”.
Bang your head:
Mit dem Kopf gegen die Wand. Der Song ist programmatisch. Mit dem Ende des Vorspanns
springen wir zum röchelnden Husten auf der Tonspur in die Gegenwart. Randy
sitzt nach einem Kampf auf einem Stuhl, den Kopf gesenkt, um sich im Raum Kinderspielzeug
und eine Tafel. Vom Madison Square Garden, in dem er in der Titelsequenz noch
angekündigt wird, ist er zu Auftritten in Turnhallen und Grundschulen abgestiegen.
Auch sonst ist seitdem einiges schief gelaufen: Seine Ehe ist zerbrochen, die
Tochter will nichts mehr von ihm wissen, er lebt in einem Mietwohnwagen im Trailerpark.
Äußerlich hält der alternde Sportler die Illusionen der Vergangenheit
aufrecht; er trainiert, lässt sich die langen Haare blondieren, Solariumsbesuche
sorgen für einen gesunden Teint. Doch im Ohr hat Robinson längst ein
Hörgerät, zum Lesen braucht er eine Brille, Knie und Ellenbogen sind
kaputt und ohne Steroide bringt jede Qual im Fitnessstudio nichts mehr. Wenn
er keine Auftritte hat, schlägt er sich mit Aushilfsjobs durch, etwa im
Supermarkt an der Fleischtheke. Hier lässt sich Aronofsky zu einer forcierten
Metaphorik hinreißen: Der nicht mehr verwertbare Mensch als sinnloser
Klumpen Fleisch, oder wie sich der Catcher selbst einmal charakterisiert: „I’m
an old broken down peace of meat“.
Randy ist ein ausgedienter Gladiator,
ein Relikt aus einer Zeit, als Heavy Metal noch ironiefrei war, Männer
lange Haare trugen, Kurt Cobain und Grunge unbekannt waren und Emo gänzlich
undenkbar war. In der Vergangenheit hängengeblieben, hat er das Ziel aus
den Augen verloren. Das erste Plakat, das erste Bild des Films, verkündete:
„The Main Event: Randy ,The Ram’ Robinson
vs“. Aber gegen wen er antritt, das erfahren wir nicht. Gegen sich selbst, müssen
wir wohl annehmen.
Denn Selbstzerstörung ist das Programm.
Randy, der Fleischberg mit dem Waschbrettbauch unter der zerschundenen Haut,
schlägt sich vor dem ersten Fight im Film – unter Kronleuchtern und Neonlicht
– erst einmal einen Stuhl gegen den Kopf. Das ist freilich Teil der Show, ebenso
wie er sich in einem unbemerkten Moment am Boden mit einer Rasierklinge die
Stirn aufritzt. Ein blutiges Gesicht soll Realismus suggerieren. Aber noch Stunden
später fängt die Kopfwunde wieder zu bluten an. Der netten Stripperin
(Marisa Tomei), der einzigen Person, zu der er einen ansatzweise funktionierenden
Sozialkontakt aufrecht erhält, fällt dazu nur Mel Gibsons „Die
Passion Christi“ ein:
„You gotta see this. It’s
amazing! They throw everything at him: whips, arrows, rocks. Beat the living
fuck out of him for whole two hours.“ Und wenn man es genau bedenkt, hat sie völlig
recht: Auch Gibsons Bibelfilm war – neben seinem antisemitischen Diskurs – im
Wesentlichen doch ein reines Gewaltspektakel; eben eine ordentliche Show mit
viel Blut, ähnlich Wrestling.
Der nächste Kampf beginnt entsprechend
mit einem blutenden Kerl im Ring, der im Stacheldraht liegt. Die Männer
wälzen sich in Glassplittern, sprühen sich Insektenvernichtungsmittel
in die Augen, tackern sich Geldscheine an die Stirn und prügeln mit einer
mit Stacheldraht umwickelten Krücke aufeinander ein. Das alles ist immer
noch Show (nun eben: The
Passion of The Wrestler),
längst ist jedoch eine Grenze überschritten. Aber selbst wenn die
Ärzte Robinson die Showkämpfe verbieten, was soll er schon machen?
“It's
all you have / So bang your head / And raise
the dead”. Bei Aronofsky geht es
immer um Menschen, die sich das eigene Grab schaufeln; sich mit Drogen, Arbeit
oder in ihrer Paranoia zugrunde richten, die wie Hamster im Rad laufen, bis
der Zusammenbruch kommt, die gegen Wände rennen, wenn sie versuchen, auszubrechen.
„The Wrestler“ unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von den anderen Filmen
des Regisseurs.
Die Besetzung des titelgebenden Wrestlers
ist wohl eine der besten Casting-Ideen der letzten Jahre und der Coup des Films.
Mickey Rourke, der Mann mit dem zusammengesetzten Gesicht, Walter Hills „Johnny
Handsome“ (1989), spielt „The Ram“. Und es ist weiß Gott zunächst
einmal Rourkes Film. Er stattet diesen von Narben überzogenen Koloss mit
einer Mischung aus Wut, Würde und Verletzlichkeit aus und legt neben Sean
Penn in Gus Van Sants „Milk“ (2008) die wohl beste Schauspielerleistung des
letzten Jahres vor. Natürlich zieht der Film seine Stärke auch aus
der biografischen Nähe der Figur Randy Robinson und seines Darstellers.
Wie der fiktive Robinson war Rourke eine Ikone der 80er Jahre, in denen der
heute 56-jährige als neuer Marlon Brando galt. In Coppolas „Rumble
Fish“ (1983) war er der
„Motorcycle Boy“, in Adrian Lynes Designer-Erotik-Schmonzette „9½ Wochen“
(1986) das männliche Sexsymbol, in Alan Parkers schwülem Horror-Thriller
„Angel Heart“ (1987) ein Mann, der seine Seele an den Teufel verkauft hat. Und
genau das nahm man ihm zurückblickend ab: Als ob der Teufel nun seinen
Lohn einfordern würde, ging es in den 90ern steil bergab. Rourke trat fast
nur noch in Schund auf, machte vor allem Schlagzeilen mit seinen Versuchen als
Profiboxer, ließ sich dabei jedoch das Gesicht so stark zertrümmern,
dass er eine ganze Serie plastischer Operationen über sich ergehen lassen
musste. Erst in den letzten Jahren konnte er sich nach und nach wieder zu größeren
Hollywood-Rollen hocharbeiten. Man nimmt ihm die Hartnäckigkeit, den Schmerz
und das Leiden nicht nur ab, Rolle und Schauspieler verschmelzen.
Aronofskys sympathisierendem, aber unnachgiebigem
Blick geht dabei jeder Spott ab. Die Welt der Wrestler, die mit unzähligen
Cameos im Film vertreten ist, wird zwar als tendenziell selbstzerstörerische,
aber weitgehend solidarische Subkultur gezeigt. Wenn „The Ram“ mit Schürze
und Haarnetz im Supermarkt hinter der Theke steht, dann wirkt er nicht lächerlich,
sondern vielmehr verletzlich. Es ist Aronofskys Stärke, uns diesen Verlierer
nahe zu bringen, ohne in Kitsch oder einen aufgesetzten Pseudo-Realismus abzudriften.
Dabei schafft das grobkörnige 16-mm-Filmmaterial Unmittelbarkeit (der Film
wurde erst später auf 35 mm aufgeblasen). Und die Handkamera folgt Rourke:
Beim Weg in den Ring ebenso wie beim Gang zum neuen prekären Arbeitsplatz
im Supermarkt, selbst beim Joggen im Wald. Das wirkt in etwa so, als ob die
Kamera ein eigenständiger Protagonist wäre, die einen alten Freund
begleitet. Wenn „The Ram“ schließlich mit seiner Tochter in einem verfallenen
Gebäude tanzt, der utopische Moment dieses Films, dann tanzt auch die Kamera
um beide und zugleich mit ihnen.
Das Ende des Films bleibt ambivalent.
Aber das ist wohl der optimistischste Schluss, den wir für eine Figur wie
„the Ram“ – und für einen Protagonisten in einem Aronofsky-Film grundsätzlich
– erwarten können.
Harald Steinwender
Diese Kritik ist zuerst
erschienen in: http://themroc-filmblog.blogspot.com/
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The
Wrestler
USA
2008 – Regie: Darren Aronofsky – Drehbuch: Robert D. Siegel – Produzenten: Darren
Aronofsky, Scott Franklin – Musik: Clint Mansell – Kamera: Maryse Alberti –
Schnitt: Andrew Weisblum – Darsteller: Mickey Rourke (Randy “The Ram” Robinson),
Marisa Tomei (Cassidy), Evan Rachel Wood (Stephanie Robinson), Mark Magolis
(Lenny), Ernest Miller (The Ayatollah) u. a. – Format: Scope – Länge: 109
min. – Verleih (D): Kinowelt, ab 26.02.2009.
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