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Wüstenblume
Ihre
Geschichte wurde zum Weltbestseller, ihr intimes Trauma zur politischen Mission.
Waris Dirie war Nomadenkind, Beschneidungsopfer, Flüchtling, Supermodel
und UNO-Botschafterin. Sherry Hormann hat das Leben der mutigen Aktivistin als
„Dramödie“ inszeniert.
Das
ist die Tradition: Der fünfjährigen Waris, einem muslimischen Nomadenmädchen
aus Somalia, werden mit einer alten Rasierklinge Klitoris und Schamlippen weggeschnitten,
die Vagina bis auf ein kleines Loch zugenäht. Waris überlebt. Mit
13 Jahren verheiraten ihre Eltern sie mit einem erwachsenen Mann. Waris flieht
zu Fuß durch die Wüste zu Verwandten in Mogadischu. Als rechtloses
Dienstmädchen gelangt sie zur somalischen Botschaft in London, kann erneut
fliehen und wird beim Putzen in einem Fast-Food-Restaurant von einem Starfotografen
entdeckt. Dirie erscheint als erste schwarze Frau auf dem Cover der Vogue, gibt
1987 ein Bondgirl (Der
Hauch des Todes,
The
Living Daylights)
und steigt in die Model-Elite auf. Und das ist der Tabubruch: Auf dem Höhepunkt
ihrer Karriere macht sie ihre Verstümmelung öffentlich. Seitdem nutzt
Dirie den weltweiten Ruhm, um gegen Beschneidung bei Frauen zu kämpfen.
Bis
zur Verfilmung von Diries Autobiografie Wüstenblume (1997)
hat es lange gedauert. Nun hat Sherry Hormann (Männer
wie wir,
2004) versucht, der Härte des Stoffes gerecht zu werden und ihn gleichzeitig
aufzulockern, aufs „große Kino“ mit sehnsuchtsvollen Wüstenpanoramen
zu zielen und in den Londoner Szenen den Ton einer Komödie zu treffen.
Man fühlt sich an Nirgendwo
in Afrika
(2001) erinnert, später an die Modewelt aus Der
Teufel trägt Prada
(2006), es gibt einen Hauch britisches Sozialdrama mit einer beklemmenden Scheinehe,
und Sally Hawkins ist direkt aus Happy-Go-Lucky (2008)
zur Wüstenblume spaziert,
um hier die überdrehte beste Freundin von Waris Dirie (Liya Kebede) zu
werden. Vieles an dieser Produktion wirkt so, als habe man potenzielle Geldgeber
mit Referenzen auf möglichst viele Kinohits locken wollen, um das ernste
Grundthema attraktiv zu verkleiden. Selbst eine überflüssige Liebesgeschichte
gehört mit zur Staffage. Im Gegenzug zeigt Hormann aber auch den brutalen
Akt der Verstümmelung.
Seine
glaubwürdigen Momente hat Wüstenblume vor
allem in Somalia, gedreht wurden sie in Djibouti. Die afrikanischen Darsteller
erscheinen nicht wie Charaktere aus bereits bekannten Filmen. Ihre eingestreuten
Szenen wirken so ungekünstelt wie Diries Anliegen, auf das zum Ende noch
eine Texttafel hinweist: Weltweit werden täglich etwa 6000 Mädchen
genitalverstümmelt. Diese politische Schlussnote klingt allerdings, als
hätten wir unbemerkt eine arte-Dokumentation über Beschneidungen gesehen.
Nicht jedoch diesen Film, der viele sein will, um allen zu gefallen.
Sonja
M. Schultz
Dieser Text ist zuerst erschienen in www.critic.de
Wüstenblume
Deutschland
/ Österreich / Frankreich 2009 - Originaltitel: Desert Flower - Regie:
Sherry Hormann - Darsteller: Liya Kebede, Sally Hawkins, Timothy Spall, Juliet
Stevenson, Craig Parkinson, Anthony Mackie - FSK: ab 12 - Länge: 120 min.
- Start: 24.9.2009
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