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Zeit der Kannibalen
Das Bewegtbildmedium Film tut sich schwer damit, die Bewegungen an den globalen
Finanzmärkten anschaulich zu beschreiben. Statt plausible Bilder zu finden,
delegieren Erklärfilme wie "Der große Crash - Margin Call" die ästhetische Vermittlung sicherheitshalber in die Domäne
des Wortes. Aber auch das Bild des durch verschiedene Hände wandernden
Geldscheins aus Robert Bressons Film "Das Geld"
ist heute nicht mehr als ein schöner Anachronismus, ein ähnlich überkommenes
Symbol wie Michael Douglas' klobiges Mobiltelefon in "Wall Street".
Eine der genauesten Beschreibungen des Finanzkapitalismus findet sich in Christian
Petzolds "Yella"; genau nicht zuletzt deshalb, weil sie ursprünglich
aus einem Dokumentarfilm, Harun Farockis "Nicht ohne Risiko", stammt.
In "Yella" wird der Zuschauer Zeuge einer Investorenverhandlung, und
die Sprache, die diesem Prozess eine äußere Form verleiht, ist so
kalt und so funktionsorientiert faktisch, dass sich niemand wundern muss, wenn
sie nichts Schönes und Nachhaltiges hervorbringt.
Womit wir bei Johannes Nabers zweitem Spielfilm, "Zeit der Kannibalen",
wären, der mit "Yella" außer seinem Thema noch eine zweite
Überschneidung aufweist: Devid Striesow in der Rolle eines skrupellosen
Unternehmensberaters. Die Beträge, die in "Zeit der Kannibalen"
bewegt werden, rangieren allerdings in einem anderen Kostensegment als in "Yella".
Produktionsmittel im Wert von 120 Millionen Dollar sollen über Nacht von
Indien nach Pakistan verschoben werden - alles nur, um einen Großkunden
zu beeindrucken. Eigentlich aber geht es um reine Selbstlegitimation, das Kapital
muss sich ständig behaupten. Öllers (Striesow) und sein Kollege Niederländer
(Sebastian Blomberg) sitzen in anonymen Hotelzimmern irgendwo auf der Welt (Indien,
Nigeria, egal) und spielen Herr über dieses Kapital. Die Außenwelt
existiert nur in Schemen: stilisierte Pappkartons als Stadtsilhouette, Milchglasfenster,
stellvertretend für den ätzenden Smog der Megalopolis. Doch obwohl
in "Zeit der Kannibalen" unentwegt geredet wird, bleibt das Setting
abstrakt. Die Präzision der Sprache verlagert sich von genauen Beobachtungen
auf verbalisierte Affekte. Die Dialoge des ehemaligen Werbetexters Stefan Weigl
legen nicht das System offen, nur die Temperamente der Figuren.
Niederländer ist ein pedantischer Neurotiker, der seinen Koffer in Rekordgeschwindigkeit
packen kann (am Ende wird ihm auch das nichts nutzen) und die immaterielle Qualität
seines Lebenswandels mit dem unbedingten Willen zu körperlicher Fitness
kompensiert. Auch Öllers hat sich in seinem zynischen Leben eingerichtet:
Er versteht sich als Teil einer Welt, die ihm herzlich am Arsch vorbeigeht.
Den Blow-Job des nigerianischen Zimmermädchens nennt er "Entwicklungshilfe",
den Kapitalismus die letzte Rettung für den afrikanischen Kontinent ("Afrikaner
auf dem Mond! Das Wunder der Globalisierung!"). Nur wenn er am Telefon
seinen Sohn schlafen hört, wird er weich. Als ihr dritter Teamkollege überraschend
zum Partner der ,Company' gemacht wird und durch die ehrgeizige Bianca (Katharina
Schüttler) - mit NGO-Vergangenheit, versteht sich - ersetzt wird, liegen
plötzlich die Nerven blank.
Es liegt nahe, die groteske Affirmation dieses brutalistischen Weltbilds als Antwort des deutschen Kinos auf "Wolf of Wall Street" zu verstehen. Doch Naber - anders als Scorsese, der seinem hypertrophen Stil wenigstens über drei Stunden treu bleibt - verzettelt sich zu sehr in seinen eigenen Ansprüchen. Seinem Film fehlen für eine Farce die exzessiven Momente, für eine schwarze Komödie Einsichten in die Figuren und für eine ernsthafte Kritik am Finanzkapitalismus schlichtweg die Begriffe. Drehbuchautor Weigl reduziert die Satire lieber auf knappe Schlagworte ("People, Profit, Planet"). Vor diesem Widerspruch aus formaler Abstraktion (das anonyme Hotelzimmer hat den Charme einer Theaterbühne) und demonstrativer Überdetermination (die Selbstgeilheit der Figuren fällt immer auch ein wenig auf die Darsteller zurück) muss "Zeit der Kannibalen" letztlich kapitulieren.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz
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Texte
Zeit der Kannibalen
Deutschland 2014 - 93 min. Regie: Johannes Naber - Drehbuch: Stefan Weigl -
Produktion: Cornelius Conrad, Andrea Hanke, Milena Maitz, Thomas Martini, Georg
Steinert - Kamera: Pascal Schmit - Schnitt: Ben von Grafenstein - Verleih: Farbfilm
- FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Katharina
Schüttler, Jaymes Butler, Florence Kasumba, Carlos Lobo, Steve Ellery,
Joana Adu-Gyamfi, Warsama Guled - Kinostart (D): 22.05.2014
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