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Zeit
des Zorns
Zu
den erstaunlichen und manchmal gelinde verstörenden Erfahrungen, die man
im Sturm eines Festivals macht, gehört die, dass beinahe jeder Film, so
sehr man selbst unter ihm leidet, seine Freunde, Anhängerinnen und Fürsprecher
findet. Ein besonders eklatanter Fall ist da für mich der vorgestern im
Wettbewerb gelaufene Rafi-Pitts-Film "Shekarchi". Ich saß in
meinem Cinemaxx-Sessel und konnte, je länger er dauerte, desto weniger
fassen, was mir da zugemutet wird. Den Saal verließ ich im Bewusstsein,
eines der wirklich unerfreulichen Berlinale-Erlebnisse hinter mich gebracht
zu haben. Die Lektüre der Kritiken, der Blick in den Kritikerspiegel belehrten
mich dann - nun ja, nicht eines anderen, denn ich sehe den Film noch ganz genauso;
ich bin jetzt aber doch um die Erkenntnis reicher, dass viele Kolleginnen und
Kollegen in "Shekarchi" ein vollkommen respektables Werk sehen.
Gestern
hatte ich mir erspart, über dies für jeden als solches doch sicher
erkennbare Machwerk ein Wort zu verlieren. Nun, da der Film auch unter hoch
geschätzten Kolleginnen und Kollegen seine Freunde gefunden hat, möchte
ich doch noch erklären, was mich empört. "Shekarchi" erzählt
die Geschichte eines Mannes. Der kommt aus dem Gefängnis, arbeitet als
Nachtwächter in einer Fabrik. Seine Frau, seine Tochter sieht er aufgrund
der verschobenen Rhythmen eher selten. Und eines Tages wartet er zuhause und
sie kommen nicht. Er wartet und sucht und muss dann erfahren, dass sie bei einer
Demonstration erschossen worden sind. Zuvor schon sahen wir den Mann mit Gewehr.
Nun postiert er sich auf einer Anhöhe und schießt auf ein Polizeiauto
auf der Autobahn, tötet dabei zwei Polizisten. Er verkauft seinen Wagen,
kauft einen neuen, lässt das Gewehr im Kofferraum zurück. Man kommt
ihm auf die Spur, er wird verfolgt, er flieht in einen Wald, zwei Polizisten
jagen ihn, ergreifen ihn - und finden nicht mehr heraus aus dem Wald.
Eine
etwas abstruse Geschichte, aber noch die abstruseste Geschichte lässt sich
plausibel erzählen. Was Rafi Pitts aber tut: Er setzt diesen Mann, seinen
Helden, einfach ins Bild. Meist schweigt er und brütet. Pitts spielt ihn
selbst. Das ist schon der Beginn aller Probleme: Er ist eine Null-Präsenz
und weder in der ersten noch in der gefühlt hundertfünfzigsten Großaufnahme
seines Gesichts evoziert er überhaupt irgendwas. Es werden die Kompositionen
gerühmt. Man sieht die sich schlingenden Stränge der Autobahn. Milchig-gelbes
Licht über Teheran. Das Häusermeer der Großstadt. Die Straßen
oft menschenleer. Das Auto auf einer Allee fährt aus dem Bild, gelegentlich
ohne Ton. Wieder und wieder das Haus, in dem der Held wohnt: nüchtern,
hässlich, wie tot.
Kein
Leben ist in diesen Bildern, aber es ist ihnen mutwillig entzogen. Alles, was
diese Bilder zeigen - die Leere, die Einsamkeit - ist keiner Wirklichkeit verdankt,
die sie darstellen, sondern es ist in diese Bilder mit Absicht und kunstvoll
und damit ohne Beweiswert fürs Reale von Anfang an hineingelegt. Die Bilder
geben sich den Anschein des realistischen Modus, sind in Wahrheit aber auf einen
einzigen Ton gestimmt und auf eine schlichte Aussage hin immer schon zugerichtet.
Dass sie ausschließlich Klischees ohne innere Spannung zeigen (leere Großstadt,
Mensch verlassen im Raum, brütendes Gesicht in Großaufnahme), kommt
dazu. Soweit der noch nicht so ganz schlimme Teil.
Das
Paradoxe und ganz Unsinnige ist: "Shekarchi" versteht sich als Gesellschaftsdiagnose.
Die Tagespolitik holt Rafi Pitts mit dem Tod von Frau und Kind bei einer Demonstration
sehr gezielt in seine in den Bildern hermetisch gegen den Alltag und überhaupt
jede Gesellschaftspolitik abgedichteten Räume hinein. Das ist die Ausgangs-
und Grundcrux des Films: Er spielt in einem in sich noch einmal spannungslosen
luftleeren Raum, behauptet aber ständig, durch das, was er in diesem Raum
vorführt, etwas Gültiges über den Iran der Gegenwart zeigen zu
können. Von Anfang an ist klar, dass es nicht um psychologische Plausibilität
geht. Auch nicht um ein Verhältnis von Figur, Bewegung, Gesellschaft und
Raum. (Wie fabelhaft vorgeführt in Benjamin Heisenbergs "Der Räuber".)
Jeder mögliche Bezug des Gezeigten auf Reales lässt sich deshalb einzig
im Gegenmodus des Realistischen (das dennoch ständig angetäuscht wird)
stiften: im Modus des Parabolischen.
Und
hier gerät der Film endgültig in Teufels Küche. Für eine
lange Strecke schickt er seinen in jeder Hinsicht unterbestimmten und von Anfang
an aus allen Koordinaten des Sozialen sorgfältig herausgetrennten Helden
mit zwei Polizisten in den Wald. Das Parabelhafte als unweigerlich sich aufdrängender
Lektüremodus setzt alles, was hier geschieht, unter massiven Überinterpretationsdruck.
So stehen die Polizisten für mindestens die staatliche Ordnungsmacht, wenn
nicht den Staat selbst. Einer der beiden ist vergleichsweise ein Guter, der
andere nicht. Die Macht- und Bindungsverhältnisse der drei (der Held inzwischen
endgültig katatonisch) wechseln, aber wie immer man sie liest: als Darstellung
von Herr und Knecht, Bürger und Staat, Delinquent und Ordnungsmacht bleibt,
was geschieht, so hoffnungslos unterkomplex, dass es irgendwann nur noch lächerlich
ist.
Drei
Männer im Wald belauern einander, misstrauen einander, betrügen einander,
zwingen einander unter vorgehaltener Waffe zu diesem und jenem. Der längst
stiften gegangene Sinn lässt sich nur unter Inkaufnahme seiner totalen
Beliebigkeit wieder ins Bild holen. Man müsste schon sagen: "Shekarchi"
zeigt die iranische Gesellschaft als eine, in der alles Zwischenmenschliche
sich verflüchtigt hat. In der es nur noch ums blanke Überleben geht
und in der am Ende auch völlig egal ist, wer jetzt wen erschießt.
Das ist als Diagnose einer sehr konkreten politischen Situation eine Unverschämtheit.
Wer als Reaktion auf eine politisch-soziale Lage weltabgeschiedene Endspiele
in nebligen Wäldern inszeniert, ist ein Mystifikator von Graden. Dass in
"Shekarchi" auch intern nichts stimmig ist, verwundert dann auch nicht
mehr.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen, im Rahmen der Berlinale 2010-Berichterstattung,
im: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Zeit
des Zorns
Iran
/ Deutschland 2010 - Originaltitel: The Hunter - Regie: Rafi Pitts - Darsteller:
Rafi Pitts, Mitra Hajjar, Ali Nicksaulat, Hassan Ghalenoi, Manoochehr Rahimi,
Ismail Amini Young, Nasser Madahi - Prädikat: besonders wertvoll - FSK:
ab 12 - Länge: 88 min. - Start: 8.4.2010
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