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Das
Zimmer meines Sohnes
Das
ist Bestsellertechnik vom Feinsten. Und man muß zugeben, daß daraus
auch was Gutes entstehen kann. Was schon dadurch bewiesen wird, daß dieser
Film in Cannes 2001 die Goldene Palme bekam. Alles, was zu hören und zu
sehen ist, ist eins zu eins. Man kann sich darauf verlassen. Die Welt ist in
Ordnung, auch wenn ein Schrecken zu bewältigen ist. Er wird bewältigt.
Man kann ohne Scheu seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Kein formaler Krimskrams
stellt sich zwischen uns und Nanni Moretti. Das ist der, der den Film gemacht
hat. Und die Hauptrolle spielt.
»Das
Zimmer meines Sohnes« betreibt Angehörigentherapie in gepflegtem
Ambiente. Was ist zu tun, wenn ein Kind tödlich verunglückt? Der Psychotherapeut
(Moretti) bedarf selbst psychischen Zuspruchs. In Großaufnahme müssen
sowohl er wie die Zuschauer ansehen, wie die Schrauben in den Sargdeckel gedreht
werden. Jetzt bricht er die Behandlung seiner Patienten ab. Wodurch der eine
spontan geheilt ist, der andere aber das kostbare Design des Praxismobiliars
zerdeppert. Das ist eine besonders schöne Szene des Films, bei der ich
voll mitgehen konnte. Wir erfahren auch, wie Mutter und Schwester ihre Depressionen
meistern. Zum Schluß sind wir in einer Postkartenidylle am Mittelmeer,
und wir wissen, daß alles gut wird und der Film zu Ende ist, denn es darf
gelacht werden.
Es
tut mir sehr, sehr leid, wie zynisch ich den Filmplot soeben wiedergegeben habe.
Womöglich habe ich eine Hemmschwelle, mich meinen Gefühlen hinzugeben,
gar eine Störung. Alle anderen waren vom Film schwer beeindruckt. Auch
muß ich einräumen, daß ich mich während der Vorstellung
überhaupt nicht gelangweilt habe. Schließlich ist das Thema wichtig.
Die Angehörigen werden fokussiert. Vom Opfer haben wir zwar nichts erfahren,
außer daß der Junge, bevor es soweit war, ständig auf die weiche
Art gelächelt hat. Ich nehme an, es ist zur Zeit en vogue, an sich zu denken,
wenn man überlebt. Bille August, der alte Schwede, hat ebenfalls einen
Angehörigentherapiebestsellerfilm in gepflegtem Ambiente gemacht. Übrigens
ist in »Martins Lied«, der im Winter in die Kinos kommt, der Angehörige
eine Frau, und da sie Erste Violinistin ist, könnten sie und der Psychotherapeut
Moretti ein standesgemäßes Paar werden.
Wie
gesagt, »Das Zimmer meines Sohnes« ist edel, hilfreich und gut.
Dietrich
Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Das Zimmer meines Sohnes (La stanza del figlio)
I/F
2001 - 99 Minuten
Regie:
Nanni Moretti
Kamera:
Giuseppe Lanci
Drehbuch:
Nanni Moretti, Linda Ferri
Besetzung: Nanni Moretti, Laura Morante, Jasmine Trinca, Giuseppe Sanfelice u.a.
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