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Vergleich
Arbeit.
Arbeit auf Baustellen. Ziegelsteinproduktion. In Burkina Faso, in Indien, Frankreich
und Deutschland. Ein paar Zwischentitel sorgen für eine erste Orientierung,
doch kein Off-Kommentar lenkt von den Bildern und Tönen dieses Essayfilms
ab. Harun Farocki bietet in seinem neuen, für seine Verhältnisse extrem
aufwändig produzierten Film dem Zuschauer Material „zum Vergleich“, aber
eben nicht im Vergleich. Das heißt, der Zuschauer muss seinerseits arbeiten,
um Farockis Material produktiv zu machen. Im Gegensatz zur Maloche, die es hier
teilweise zu sehen gibt, fällt die Arbeit des Zuschauers recht entspannt
aus. Das hat, wie zu zeigen sein wird, durchaus seinen Sinn.
Die
Basis des Häuserbaus, die kleinste Einheit, ist der Ziegelstein, der zunächst
hergestellt werden muss, bevor man daraus Häuser – Wohnhäuser, Schulen,
Krankenhäuser, Kinderheime, Polizeistationen – bauen kann. Man sieht zu
Beginn den Bau eines Hauses als „fait social“: Frauen arbeiten mit Männern
zusammen, Kinder sehen ihnen dabei zu, die Ziegel werden als Unikate gefertigt
und getrocknet – am Ende steht ein neues Haus. Anderswo auf der Welt werden
Ziegel schon auf Vorrat produziert und gebrannt; allmählich verschwinden
die Kinder aus den Bildern, dann die Frauen, schließlich auch die Männer.
Zugleich ändert sich mit dem Einzug der Maschinen auch das, was auf der
Tonspur des Films zu hören ist; zu Beginn waren es noch Stimmen, Schritte,
Vögel und Hunde, später hört man nur noch das Surren und Summen
der Maschinen. So gesehen, etabliert der Film schnell eine Narration, die von
technischem Fortschritt erzählt, von der Abstraktion menschlicher Arbeit,
vom Verschwinden des Menschen aus der industriellen Produktion. Dabei ist der
Ziegelstein ein Gegenstand, der bis zuletzt noch „handgreiflich“ bleibt, wenn
etwa Ziegel per Hand auf ihre Qualität hin getestet werden, wenn Ziegel
auf der Baustelle von Hand zu Hand gehen oder beim Mauern angefasst werden.
Was
zunächst beobachtend eine dialektische Geschichte des Fortschritts zu erzählen
scheint, verkehrt sich in der zweiten Hälfte unvermittelt fast ins Gegenteil:
Plötzlich sitzen westliche Architekturstudenten am Rande der Baustellen
und versuchen, sich ihrerseits ein Bild von den traditionellen Techniken zu
machen und diese auf ihre Vorteile hin zu befragen. Plötzlich wieder „eine
soziale Idee“ (Zwischentitel): Wenn man ein Haus erst mauert und dann brennt,
kann man diesen Brennvorgang zur Produktion weiterer Ziegel benutzen, die sich
weiterverkaufen lassen und so die Kosten des Hauses senken. In direktem Kontrast
dazu zeigt Farocki eine deutsche Fabrik, in der ganze Hauswände vorproduziert
werden, die vor Ort nur noch montiert werden müssen. Folglich drängt
sich die Idee auf, den Film auch unter ökologischen Aspekten zu sehen:
Mit einem Mal erscheint das traditionelle Bauen in Burkina Faso ungleich vielschichtiger:
„Für diesen Bau wird nichts importiert und nur menschliche Energie aufgewendet“,
unterstreicht einer der wenigen kommentierenden Zwischentitel.
Das
Material, aus dem Farocki seinen 62-minütigen Essay montiert, war 2007
bereits als Videoinstallation „Vergleich über ein Drittes“ zu sehen – und
zwar als Doppelprojektion, die es dem Betrachter leichter machte, die ökologische
Frage in den Blick zu bekommen. Der technologische Fortschritt, die industrielle
Fertigung von Ziegeln allein aus Gründen der ökonomischen Logik, erscheint
als katastrophaler Irrweg in vielfältiger Hinsicht. Wer heutzutage durch
deutsche Industriegebiete fährt, sieht leer stehende Gebäude, die
mit hohem Energieaufwand ins Grüne gestellt wurden, in der Hoffnung, dass
Firmen dort eine Niederlassung eröffnen. In Burkina Faso werden Gebäude
nach Bedarf produziert. Man sieht Frauen, die auf ihrem Kopf Ziegel transportieren,
mit einem Kind auf dem Rücken. Man sieht Menschen, die Zeit haben, bei
der Arbeit zu reden. Man sieht Kinder, die den Männern bei der Arbeit zusehen
und dabei etwas lernen. Man kann ein solches Beharren auf Ganzheitlichkeit für
„romantisch“ halten, aber die Kommentarlosigkeit von „Zum Vergleich“ gibt dem
Zuschauer im Kino Gelegenheit, zu schauen und dabei zu denken. Auch das ist
eine Form von befreiter Arbeit, denn Farocki lenkt zwar den Blick, aber nicht
die Assoziationen des Zuschauers. Ganz zum Schluss reist der Filmemacher in
die Schweiz, wo ein Roboter gelernt hat, Computerbilder in Steine zu „übersetzen“.
Die Maschinen kommunizieren Nutzloses, Kunst im klassischen Sinne, im Hintergrund
geht ein Mensch vorbei, scheinbar unbeteiligt. Schöne, alte Welt.
Ulrich
Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
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Deutschland
/ Österreich 2009 - Regie: Harun Farocki - Länge: 62 min. - Start:
3.9.2009
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