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Zweier
Ohne
Der Anfang könnte schon das Ende
sein. Zwei 18-jährige Jungs lassen ihre Beine über nachtschwarzem
Nichts baumeln. Die gespenstische Szene spielt sich an der Brüstung einer
unbefahrenen Autobahnbrücke ab, die in gut 80 Metern Höhe ein Tal
überspannt. Mit ihren Bomberjacken und kahl geschorenen Schädeln sind
Ludwig und Johann optisch kaum zu unterscheiden. Doch während Ludwig zum
Todessprung fest entschlossen scheint, zögert Johann und sträubt sich.
Schon zählt der Andere bis drei, gibt sich einen Ruck, packt Johann am
Ärmel und - das Bild friert ein. Albtraum oder Vorausblende? Das verrät
Jobst Christian Oetzmann erst am Schluss seines Coming-of-Age-Dramas, doch dass
die Geschichte einer riskanten Freundschaft glimpflich ausgeht, darf schon zu
Beginn bezweifelt werden.
Sie ähneln einander zuerst überhaupt
nicht: Als sie sich kennenlernen, trägt Johann noch dunkles, Ludwig blondes
Haar. Er, „der Spinner" und Abenteurer, ist vom Internat geflogen und neu
in Johanns Klasse. Von Haus aus eher brav und angepasst, lässt Johann sich
magisch in die Welt des fremden Jungen hinüberziehen. Allein Ludwigs Zuhause
ist ein aus der Zeit gefallener Ort, ein altes Bauernhaus zwischen den mächtigen
Pfeilern einer Autobahnbrücke, die als Bauruine stehengelassen wurde. Selbstmörder
lieben die Brücke, erzählt Ludwig. Und schon in der ersten Nacht,
die Johann bei seinem neuen Freund verbringt, stürzt sich ein junges Mädchen
in die Tiefe.
Neben dieser Allgegenwart des Todes fasziniert
die Jungen die Idee, sich einander anzugleichen. Ausgangspunkt ist der Rudersport.
Ein Kanutenpaar, das „Zweier ohne" fährt, muss im Boot ohne Steuermann
auskommen, ist auf perfekte Harmonie angewiesen. „Lass uns Zwillinge werden",
fordert Ludwig vom Sportskameraden, und Johann lässt sich darauf ein. Doch
das Projekt gerät ins Schlingern, als Johann sich in Ludwigs Schwester
Vera verliebt und sich heimlich mit ihr trifft. Auch Ludwig, der den „Treuebruch"
wohl ohnehin schon ahnt, bringt mit Jähzorn und Gewaltneigung immer wieder
Missklänge in den proklamierten Freundschaftsbund. Ein geheimer „Gefährte"
- die gemeinsam entdeckte und vor der Welt verborgene Leiche eines Selbstmörders
- soll die Zweier-Harmonie wieder herstellen. Johann scheint immer noch nicht
zu begreifen, welches Ausmaß an Todessehnsucht sich hinter Ludwigs Perfektionsdrang
verbirgt.
Die Vorlage zum Film stammt von dem „Spiegel"-Journalisten
Dirk Kurbjuweit, der seit einigen Jahren auch als Romanautor von sich reden
macht. Mit großer sprachlicher Konzentration und Einfühlung schildert
Kurbjuweit in seiner 2001 erschienenen Novelle „Zweier Ohne" die Sehnsüchte,
Irrungen und Wirrungen Heranwachsender. Von dieser Stimmigkeit hat Jobst Christian
Oetzmann nicht allzu viel in seinen Film hinüberretten können. Das
liegt bestimmt nicht an der oft brillanten, farbglühenden Bildgestaltung
von Tomas Erhart. Auch die Schauplätze sind gut gewählt, beziehungsweise,
wie im Fall des Hauses unter der Autobahnbrücke, täuschend echt am
Computer zusammengesetzt. So fesselt der Beginn noch, wenn Ludwigs verwunschener
Wohnort eingeführt und sich Ludwigs und Johanns gemeinsame Gratwanderung
abzeichnet. Spannend inszeniert Oetzmann auch Johanns Beinahe-Absturz von der
Brücke, wenn Ludwig von ihm verlangt, mit dem Fahrrad am Abgrund entlang
zu schrammen.
Bald erweist sich die filmische Adaption
aber dem Stoff kaum mehr gewachsen. Das mag zum Teil mit dem Tribut zusammenhängen,
den speziell das Medium Film dem Realismus zollen muss. Kann der Schriftsteller
zum Beispiel das Outfit seiner Helden schlicht unerwähnt lassen, muss der
Filmemacher in der Kostümwahl eindeutige Entscheidungen treffen. So mutieren
Ludwig und Johann in der Rahmenhandlung zu Skinheads. Als Ausdruck ihrer inneren
Angleichung mag das angehen, doch wirkt die Gleichgültigkeit, mit der die
Umwelt die Verwandlung des Paars hinnimmt, wiederum höchst unglaubwürdig.
Den trefflich besetzten Darstellern Tino Mewes (Johann) und Jacob Matschenz
(Ludwig) hätte es wohl gelingen können, ihren Zwillingstraum - ohnehin
mehr Wunsch als Wirklichkeit - auch in unterschiedlichen Outfits überzeugend
zu spielen. Besonderer Erwähnung wert ist daneben Lena Stolze als klammernde
Mutter, die Johanns Absetzbewegung glaubhaft macht.
Insgesamt hält sich Oetzmann sklavisch
an die Novelle, leider auch da, wo sein Medium Kurskorrekturen gefordert hätte.
Funktioniert das Hin- und Herdriften des Ich-Erzählers Johann zwischen
romantischem Lebensgefühl und stinknormaler Lebenspragmatik im Roman tadellos,
bleibt der Film auf halbem Weg vom Realismus zur Phantastik stecken (Der geheimnisvolle
Ort, die „lebenden" Toten, das Doppelgänger-Motiv). Der Inszenierung
fehlt es an Kühnheit, die stürmende und drängende Innenwelt der
Protagonisten mit angemessenen filmischen Mitteln zu stützen. Das Ergebnis
bleibt denn auch weit unter dem Niveau besserer „Tatort"-Krimis. Am auffallendsten
wird die Tendenz zur Verflachung in den Liebesszenen. Wie im Buch holt der abgebrühte
Ludwig eines Tages die Russlanddeutsche Josefine ins Haus, um sie mit Johann
zu „teilen". Kurbjuweit schildert den ersten Sex seines Ich-Erzählers
als angstvoll-wohlige Erkundung eines fremden Archipels - bei Oetzmann fühlt
man sich eher in die verkaufsfördernde Erotik von MTV-Videos versetzt.
Auch bei den heimlichen Begegnungen zwischen Johann und Vera erliegt der Regisseur
dem Zwang zur „Montagesequenz" mit obligater Musikbegleitung. Christian
Petzold hat einmal behauptet, man könne Sex überhaupt nicht verfilmen.
Im Hinblick auf den zwiespältigen Film „Zweier ohne" hat Petzold allemal
recht.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Zweier
ohne
Deutschland 2008 - Regie: Jobst Christian Oetzmann - Darsteller: Tino Mewes, Jacob Matschenz, Sophie Rogall, Peter Harting, Lena Stolze, Alexandra Schalaudek, Nora Quest, Piet Fuchs, Guido Renner - FSK: ab 12 - Länge: 93 min. - Start: 16.10.2008
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